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Denkanstösse für ein bedingungsloses Grundeinkommen

Ist das bedingungslose Grundeinkommen eine mögliche Antwort auf strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt? Erfahrungen aus Pilotprojekten geben Denkanstösse für die Praxis.

Trotz Vollbeschäftigung, einer niedrigen Arbeitslosenquote und der Tatsache, dass sich die Schweizer Wirtschaft gut von der Pandemie erholt hat, wächst die Besorgnis über Jobverluste durch strukturelle Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, verstärkt durch Technologisierung und Automatisierung.

Das World Economic Forum WEF rechnet in seinem aktuellen «The Future of Jobs 2023 Report» damit, dass in den nächsten fünf Jahren rund 23 Prozent der globalen Arbeitsplätze von strukturellen Veränderungen betroffen sein werden. In Bezug auf neue Technologien hingegen wird erwartet, dass sie sich positiv auf die Beschäftigung auswirken, einen Beschäftigungszuwachs bringen und neue Arbeitsplätze schaffen werden.

In diesem Kontext kommt das Interesse an einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) wieder auf, auch in der Schweiz.

Eine lange Geschichte

Die Idee des BGE ist nicht neu. In der Geschichte wurde dieses bereits seit dem späten 18. Jahrhundert beworben – seit den Auswirkungen der Industrialisierung und dem Wandel weg von einer feudalistischen Agrargesellschaft hin zum modernen Kapitalismus. «Das bedingungslose Grundeinkommen wurde als eine Alternative zum Sozialismus propagiert, noch bevor der moderne Wohlfahrtsstaat eingeführt wurde», sagt Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz. In den 1960er Jahren war der Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman ein prominenter Verfechter einer negativen Einkommenssteuer, um Armut zu bekämpfen und Sozialtransfers zu vereinfachen.

Definition und Schweizer Initiative

Die Definitionen variieren, aber in der Schweiz bezeichnet der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens ein regelmässiges Einkommen, das an keine Bedingungen geknüpft ist und durch den Staat verteilt wird. Damit soll «ein Teil des Einkommens, das man zum Leben braucht, bedingungslos gewährt werden», erklärten die Initianten der eidgenössischen Volksinitiative «Für ein bedingungsloses Grundeinkommen». Die Initiative wurde im Jahr 2016 von einem Viertel des Schweizer Stimmvolks befürwortet (23.1%) und von einer grossen Mehrheit abgelehnt (76.9%). Mit dem BGE würde der Staat den in der Schweiz lebenden Menschen einen bestimmten Betrag auszahlen, unabhängig davon, wie viel Geld sie verdienen und wie vermögend sie sind.

«Das bedingungslose Grundeinkommen wurde als eine Alternative zum Sozialismus propagiert, noch bevor der moderne Wohlfahrtsstaat eingeführt wurde.»
Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz:

Wirkung von Pilotprojekten

Weltweit wurde bisher noch nie ein nationales bedingungsloses Grundeinkommen in grossem Massstab umgesetzt. Die Metaanalyse «What We Know About Universal Basic Income» (2020) des Stanford Basic Income Lab fasst die wichtigsten Ergebnisse von 16 Analysen über Pilotprojekte und Programme zusammen. Im Kern der meisten Projekte steht ein bedingungsloser Bargeldtransfer, der regelmässig und unabhängig von Einkommen und Vermögen verrichtet wird.

In ärmeren Ländern wirkt das BGE als Antwort auf systemische Armut und steigert die Haushaltsausgaben. Auf die Teilnahme am Arbeitsmarkt hatten die Pilotprojekte in ärmeren Ländern hingegen wenig Einfluss. In Ländern mit mittleren und höheren Einkommen reduzierten die Arbeitnehmenden öfter ihr Pensum, um mehr Zeit mit der Familie verbringen zu können. In Bezug auf die Bildung waren nur kurzfristige Verbesserungen zu beobachten. Dafür waren die Effekte auf die Gesundheit umso eindeutiger, besonders in Ländern mit weniger umfassenden Gesundheitssystemen wie in den USA.

Grundeinkommen: Vor- und Nachteile

Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen würde massive Reformen der Sozialversicherungen bedingen. «Ein positiver Effekt wäre, dass die Menschen in unsicheren Zeiten über die Runden kommen würden, ohne Sozialleistungen beantragen zu müssen», sagt Ursula Häfliger. Damit könnten auch soziale Stigmata vermieden werden, wie wir sie heute etwa in Verbindung mit Ergänzungsleistungen kennen. Diese sind ein Grund dafür, warum gemäss Schätzungen zehntausende von Altersarmut betroffene Seniorinnen und Senioren keine finanzielle Unterstützung beantragen.

Zentrale Frage der Finanzierung

In allen Szenarien muss für die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens Geld staatlich umverteilt werden. Die Initiantinnen und Initianten der Schweizer Initiative schlugen für die Finanzierung drei Quellen vor: die Abschöpfung aller Erwerbseinkommen bis zur Höhe des Grundeinkommens, die Umlagerung aus den Leistungen der sozialen Sicherheit und Steuererhöhungen oder Verlagerungen im Staatshaushalt. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hatte berechnet, dass über die ersten zwei Quellen 183 der benötigten 208 Milliarden Franken gedeckt werden könnten. Die entstehende Lücke von 25 Milliarden Franken jährlich hätte durch erhebliche Einsparungen und über zusätzliche Steuern geschlossen werden müssen.

Offene Fragen zu psychologischen Auswirkungen

Bei der Erwerbsarbeit geht es um mehr als nur um die Existenzsicherung. Sie prägt das Zusammenleben und unsere Demokratie, bringt Menschen zusammen, vermittelt Sinnhaftigkeit und bildet Anreize für Bildung und Weiterbildung. Inwiefern sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Moral, Motivation, den Selbstwert und die psychische Gesundheit der Bevölkerung auswirken würde, darüber kann man nur Vermutungen anstellen.

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens wieder zu diskutieren und umfassender zu testen, macht in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren durchaus Sinn. Mit Pilotprojekten auf lokaler oder regionaler Ebene kann jedoch nur eine begrenzte Wirkung ermittelt werden, und es können nicht alle Fragen abschliessend beantwortet werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen hingegen auf nationaler Ebene einzuführen – diesen Schritt hat bisher noch kein Land gewagt.

Erstmals veröffentlicht am: 11.9.2023

Autor:in Sibylle Zumstein

«Ein positiver Effekt wäre, dass die Menschen in unsicheren Zeiten über die Runden kommen würden, ohne Sozialleistungen beantragen zu müssen.»
Ursula Häfliger

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