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Digitales Nomadentum ausprobieren
New Work hat die Arbeitswelt seit der Coronapandemie stark verändert. Arbeitnehmer:innen wollen nicht mehr auf das flexible Arbeiten verzichten, und dieses geht über Homeoffice hinaus. Remote Work und digitales Nomadentum liegen im Trend. Ein Überblick über die Vorteile dieser Arbeitsformen und was es zu beachten gilt.
Mit dem Laptop am Strand in Bali, in einem Coworking Space in Lissabon oder in einem Café in New York – das sind gängige Bilder, die man mit digitalen Nomaden verbindet. Während Remote Work, das ortsunabhängige Arbeiten, früher vor allem Freelancer:innen vorbehalten war, nimmt dieser Trend heute auch bei Firmen zu. Die Voraussetzung für Remote Work ist, dass man seine Arbeit am Laptop verrichten kann, weshalb sich diese Arbeitsform vor allem für Büroberufe und Wissensarbeitende eignet.
Grosses Potenzial bei Schweizer Wissensarbeitenden
Schätzungen zufolge könnten rund 2.5 Millionen Wissensarbeitende in der Schweiz ortsunabhängig arbeiten, sagt Lorenz Ramseyer, Remote Work Consultant und Präsident des Vereins «Digitale Nomaden Schweiz». Nur ein kleiner Teil von ihnen falle jedoch unter die Definition «digitale Nomaden», erklärt er. Diese führen ein ortsunabhängiges und multilokales Leben und arbeiten pro Jahr für eine gewisse Zeit lang von mehreren Standorten aus.
Tendenz zu Remote Work nimmt zu
Ausser den Angaben zu Homeoffice gibt es beim Bundesamt für Statistik (BfS) keine Zahlen zum Anteil von digitalen Nomaden und Remote Work in der Schweiz. Die «Social Collaboration Studie» der Technischen Unviversität Darmstadt und Campana & Scott hat Mitarbeitende von Grossfirmen und mittleren Betrieben in Deutschland, Österreich und in der Schweiz zu hybriden Arbeitsweisen befragt und herausgefunden, dass der Anteil der Arbeitnehmenden, die überwiegend oder vollständig remote arbeiten, in den untersuchten Firmen bereits 30 Prozent beträgt. «Diese Zahlen zeigen, dass der Trend hin zu Remote Work immer stärker zunimmt», sagt Lorenz Ramseyer. Die eigentlichen digitalen Nomaden, welche fast ständig remote arbeiten, machen davon natürlich erst einen Bruchteil aus.
Wohnsitz, Steuerpflicht und Sozialversicherungen
Möchten Arbeitnehmende nicht nur im eigenen Land, sondern auch im Ausland ortsunabhängig arbeiten, stellen sich rasch eine Vielzahl von rechtlichen Fragen, etwa in Bezug auf den Wohnsitz, die Steuerpflicht, Sozialversicherungen, Altersvorsorge und mehr. Um all diese Fragen zu klären, gibt es Firmen, die sich auf Arbeitsrecht mit Fokus Remote Work spezialisiert haben. «Gerade für Firmen, die ihren Arbeitnehmenden Remote Work anbieten oder sogar darauf umstellen möchten, lohnt es sich, diese Themen genau zu klären», sagt Lorenz Ramseyer.
Merkmale Kostenoptimierung und minimalistischer Lebensstil
«Viele digitale Nomaden werden mit der Zeit minimalistisch», sagt Ramseyer. Sie verkaufen ihr Auto, vermieten die Wohnung oder geben diese ganz auf, leben mit dem Minimum an Eigentum und stellen das, was sie nicht brauchen, unter. Als Wohnform bietet sich das Coliving an, führt er aus. Dabei mietet man nur noch einige Quadratmeter an Wohnraum und nutzt diese nur wenige Monate im Jahr.
«Digitale Nomaden verdienen jedoch nicht per se schlecht oder müssen mit weniger Geld leben», betont Lorenz Ramseyer. Dass digitale Nomaden gut verdienen können, zeige sich an der Anzahl der ausgestellten Visatypen für Remote Work. Denn um ein solches Visum im Zielland zu erhalten, braucht es ein geregeltes Mindesteinkommen. Gerade die Amerikaner:innen seien besonders aktiv unterwegs, etwa in Portugal, sagt Ramseyer weiter.
Sinnstiftende Tätigkeiten
Bei vielen Menschen, die als digitale Nomaden ausschliesslich remote arbeiten, steht nicht nur das flexible Arbeiten, sondern auch eine besondere Lebensform im Zentrum. Treiber sind oft die Suche nach einer sinnstiftenden Tätigkeit und das Bedürfnis nach mehr Freiheit und eigenständiger Lebensgestaltung. Das weiss Doro Staub, Coach für Job-Aussteiger:innen. «Zuerst muss man lernen, auf seine innere Stimme zu hören und herausfinden, was einem wirklich wichtig ist», sagt sie. Heute suchen immer mehr Menschen einen Sinn in der Arbeit. «Man muss den Mut finden, dem nachzugehen, etwas wagen und sich von fixen Ideen lösen», sagt sie. Ist man unzufrieden und unerfüllt im Job, helfe manchmal nur der Ausstieg.
Auf den Arbeitgeber zugehen
Oft lassen sich Dinge aber auch im Gespräch mit dem Arbeitgeber lösen. Gerade in Zeiten von Personalmangel lohne es sich, mehr mit dem Arbeitgeber auszuhandeln, sagt Doro Staub weiter. So könne man Remote Work und digitales Nomadentum testen und herausfinden, ob das ortsunabhängige Arbeiten zu einem passt. Oder man nimmt sich eine Auszeit und arbeitet remote an einem eigenen Projekt oder leistet Freiwilligenarbeit. Wer Reisen und Remote Work verbinden wolle, solle dies unbedingt ausprobieren, sagt sie. Denn oft sei man mit alltäglichen Herausforderungen konfrontiert, die nicht immer berechenbar seien – eine funktionierende Infrastruktur und Top-Internet sei nicht überall Standard, das weiss sie aus Erfahrung.
«Viele Arbeitgeber tun sich mit dem Thema Vertrauen schwer, wenn ihre Mitarbeitenden remote arbeiten.»Lorenz Ramseyer, Präsident des Vereins «Digitale Nomaden Schweiz»
Nachteil Vereinsamung
«Arbeitet jemand nur remote und fehlt jeglicher Kontakt zu anderen Menschen im Arbeitsalltag, besteht die Gefahr von Vereinsamung», warnt Lorenz Ramseyer. Deshalb braucht es auch in einer digitalen Welt Kaffee-Treffen und One-to-One-Meetings zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden, um herauszufinden, wo der Schuh drückt, und Themen ansprechen zu können, die Mitarbeitende gerade beschäftigen.
Unternehmenskultur wird noch wichtiger
Firmen, die ausschliesslich remote arbeiten, investieren viel in die Unternehmenskultur. Und dazu gehört, dass man sich regelmässig physisch trifft. «Die Mitarbeitenden sehen sich dann zum Beispiel viermal jährlich für zwei Wochen an unterschiedlichen Standorten für sogenannte Workations und kombinieren Arbeit und Freizeit», so Ramseyer. Wobei die Arbeit dabei sogar im Hintergrund stehe. Je nach Modell macht sie nur etwa 20 Prozent der Zeit aus. 30 Prozent wird in Teambuilding investiert, und 50 Prozent der Zeit wird überhaupt nicht verplant, um Raum zu bieten für neue Ideen und Initiativen. «Am Ende einer solchen Workation kennt man sich besser, als wenn man mehrmals wöchentlich im gleichen Büro sitzen würde», sagt Ramseyer. Der Mensch steht im Zentrum, der Zusammenhalt wird gestärkt. Dafür muss man auch nicht um die halbe Welt fliegen – eine Workation bzw. Remote Work mit dem Team kann man als Schweizer Firma gut einmal ein paar Wochen im Tessin, Wallis oder am Genfersee durchführen.
Anderes Mindset gefordert
New Work und insbesondere Remote Work erfordern ein anderes Mindset vonseiten Vorgesetzten. «Dabei darf die Transformation nicht unterschätzt werden – so einfach ist der Change nicht», so Lorenz Ramseyer. Vertrauen geben, Mitarbeitende mehr am Output und an den Resultaten messen – das erfordert einen bestimmten Typ an Führungskraft und bedingt eine entsprechende Unternehmenskultur. Es braucht auch ein HR, das sich für die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden einsetzt und diese begleitet, denn nicht jeder Typ Arbeitnehmende ist für Remote Work geeignet. Und die richtigen Formen der Zusammenarbeit, wie mit den genannten Workations, die diese Art von Unternehmenskultur wiederum begünstigt.
Ein besonderes Mindset brauchen vor allem diejenigen digitalen Nomadinnen und Nomaden, die als Freelancer:innen arbeiten, denn sie sind ihre eigenen Vorgesetzen. «Man muss Lust haben, alleine zu arbeiten, braucht Disziplin und Organisationstalent. Zudem muss man seine Netzwerke pflegen, Hilfe suchen und digitale Freundschaften aufrechterhalten», so Doro Staub.
«Man muss Lust haben, alleine zu arbeiten, braucht Disziplin und Organisationstalent.»Doro Staub, Coach für Job-Aussteiger:innen
Praxistipps für Remote Work und digitales Nomadentum
Für Arbeitnehmer:innen
1. Unternehmerisch denken und handeln
Sein eigener Intrapreneur: Unternehmerisches Denken, gute Organisation und Selbstdisziplin sind wichtige Voraussetzungen dafür, dass Remote Work gelingt.
2. Pausen einbauen und Abschalten lernen
Sicherstellen, dass man regelmässig Pausen macht und bei Arbeitsschluss einen Strich unter die Arbeit zieht. Dabei helfen konkrete Rituale wie ein künstlicher Arbeitsweg, Sport oder Spaziergänge zwischendurch und Clear Desk und eine klare nicht kopflastige Tätigkeit bei Arbeitsende.
Für Arbeitgeber
1. Vertrauen geben
Neue Arbeitsformen und insbesondere Remote Work bringen Veränderungen mit sich. Es braucht Mut, Vertrauen zu geben. Dafür kommt garantiert etwas zurück, unter anderem eine gesteigerte Produktivität, Kreativität und Motivation.
2. Schrittweise experimentieren
Man muss nicht gleich das Bürogebäude verkaufen und ganz auf Remote Work umstellen. Ortsunabhängiges Arbeiten lässt sich gut testen. Am besten gelingen neue Arbeitsformen, wenn man Mitarbeitende in die Diskussion einbezieht und einzelnen Teams die Autonomie gibt, sich so zu organisieren, wie sie es sich wünschen.
Für Freelancer
1. Das Homeoffice verlassen
Verschiedene Arbeitsorte ausprobieren – das kann Coworking sein oder auch einmal eine Workation, bei der man an einem komplett anderen Standort arbeitet. Reisen fördern die Inspiration und neue Kontakte erweitern das Netzwerk.
2. Alte Muster loslassen
Als Freelancer:in hat man die Freiheit, sich die Arbeit komplett frei einzuteilen. Dazu gehört auch, nicht zu arbeiten, wenn es einmal nicht läuft, und sich einfach mal einen Tag freizunehmen, um später wieder produktiv zu sein.
Erstmals veröffentlicht am: 10.10.2023
Autor:in: Sibylle Zumstein
Zu den Personen
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Lorenz Ramseyer ist Remote Work Consultant und zeigt Firmen und Einzelpersonen auf, wie man ortsunabhängiges Arbeiten im heutigen Arbeitsalltag ideal einsetzen kann. Als Präsident des Vereins «Digitale Nomaden Schweiz» vertritt er die digitalen Nomaden in der Schweiz und bietet eine Anlaufstelle für die Mitglieder für alle Fragen rund um das ortsunabhängige Arbeiten. Lorenz lebt mit seiner Familie in der Schweiz und verbringt mehrere Wochen mit Remote Work im Ausland.
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Doro Staub gab ihre Anstellung vor sieben Jahren auf, um sich als digitale Nomadin neu zu orientieren. Die ehemalige Bibliothekarin begann ihre Neuorientierung als Texterin und Reisejournalistin und arbeitet heute als Coach für Job-Aussteiger:innen. Die passionierte Velofahrerin verbringt einen grossen Teil ihrer Zeit in Italien und verfügt weiterhin über eine Homebase in der Schweiz.