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«Erfolg ist für mich nie eine Einzelleistung»

Sascha M. Burkhalter ist seit dem 1. Januar 2024 CEO des Kaufmännischen Verbandes Schweiz. Er spricht über den Fachkräftemangel, die Generation Z, KI und New Work – und welche Auswirkungen die gesellschaftlichen Veränderungen auf den Verband haben.

(siehe Videointerview unten)


Sie sind seit 1. Januar 2024 im Amt. Wie haben Sie gestartet?

Ich hatte einen guten Start und konnte mir bereits ein gutes Bild der Organisation sowie der unterschiedlichen Tätigkeiten aller Teams machen. Für mich ist der Kaufmännische Verband ja nicht ganz neu, da ich von 2007 bis Ende 2023 im Zentralvorstand tätig war. Bisher war ich vor allem auf strategischer Ebene für die Finanzen verantwortlich, jetzt sehe ich immer mehr, wie breit und vielfältig der Kaufmännische Verband Schweiz unterwegs ist.

Haben Sie schon eine klare Vision, wo Sie mit dem Kaufmännischen Verband Schweiz hinwollen oder beobachten Sie zuerst einmal?

Die Vision ist in dem Sinn schon recht klar, da wir im vergangenen Jahr nach der erfolgten Strukturreform unser Leitbild überarbeitet haben. Bei diesem Prozess durfte ich dabei sein und an der Definition der künftigen Schwerpunkte mitwirken. Wir haben im Rahmen der Reform von 2022 auch Strukturen zurückgebaut und Aufgaben in der Verbandsorganisation verschoben. Für uns steht deshalb die Umsetzung des neuen Leitbildes mit konkreten Leistungen und Aufgaben im Fokus. Das möchte ich vorantreiben.

«Unsere grösste Veränderung ist, dass wir uns noch stärker von einer Mitglieder- zu einer Kundenorganisation transformieren müssen.»
Sascha M. Burkhalter

Was sind die wichtigsten Pfeiler, auf die sich der Kaufmännische Verband in Zukunft stützt?

Primär bleiben Bildung, Sozialpartnerschaften und Politik die wichtigen Säulen unserer Arbeit. Neu ist der «Think & Do Tank ein Gefäss, in dem wir als Orientierungsgeber Trends und Entwicklungen in der Arbeitswelt identifizieren und darauf aufbauend proaktiv Massnahmen ergreifen und Dienstleistungsangebote erarbeiten können. Auch im Bereich «Startfeld», wo es um die Förderung des Unternehmertums bei Kaufleuten und Detailhändler:innen geht, möchten wir einen weiteren, für uns interessanten Bereich erschliessen und Anlaufstelle für Menschen in agilen und adaptiven Arbeitsformen werden. Das betrifft vor allem Berufsleute in Dienstleistungs- und Wissensberufen, die sehr flexibel und mit einem hohen Grad an Autonomie arbeiten – von Angestellten bis hin zu Selbsständigerwerbenden und Einzelunternehmer:innen. Aus diesen Arbeitsformen ergeben sich eine Vielzahl von Fragen – beispielsweise der Versicherungsschutz und die Altersvorsorge. Hier kann der Kaufmännische Verband Schweiz mit konkreten Leistungen unterstützen. Ich sehe das als Fortsetzung des Pioniergeistes, den der Verband von Anfang an hatte.

Haben Sie in diesen Bereichen bereits konkrete Schritte eingeleitet?

Unsere grösste Veränderung derzeit ist, dass wir uns noch stärker von einer Mitglieder- zu einer Kundenorganisation transformieren müssen. Während eine Verbandsmitgliedschaft früher selbstverständlich war, erwarten unsere Zielgruppen heute einen konkreten Gegenwert und sind eher bereit, für ein Angebot oder eine Dienstleistung zu bezahlen. Wir wollen und brauchen auch weiterhin Menschen, die sich als Mitglieder für den Kaufmännischen Verband Schweiz engagieren wollen. Aber wir arbeiten auch an Angeboten für Nicht-Mitglieder.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Wenn wir bei den Herausforderungen der neuen Arbeitsformen bleiben: Da können wir über die verbandsgetragenen Schulen entsprechende Weiterbildungsangebote bieten oder über Fragen der Altersvorsorge zielgruppenspezifisch informieren. Der Kaufmännische Verband Schweiz wird als unabhängiges und glaubwürdiges Kompetenzzentrum für Bildung und Beruf wahrgenommen und wir können über unsere Informationskanäle wichtige Themen aufgreifen und breit streuen.

«Ein Teil des Fachkräftemangels könnte behoben werden, wenn sich der Bewerbungsprozess weniger diskriminierend gestalten würde.»
Sascha M. Burkhalter

Der Fachkräftemangel beschäftigt viele Unternehmen. Auch die kaufmännischen? Welche Rolle spielen Sie als Verband dabei?

Der Fachkräftemangel ist auch bei uns ein grosses Thema und aufgrund der Vielschichtigkeit nicht so einfach zu lösen. Ich bin jedoch der Meinung, dass ein Teil des Fachkräftemangels behoben werden könnte, wenn sich der Bewerbungsprozess weniger diskriminierend gestalten würde. Relevant ist doch, dass die Bewerberin oder der Bewerber die gesuchten Skills mitbringt – und nicht welches Geschlecht, welchen Namen und welches Alter die Person hat. Aber leider haben solche Faktoren immer noch einen grossen Einfluss darauf, wer überhaupt in eine Auswahl zur Besetzung einer Vakanz kommt. Und es braucht auch die Bereitschaft, allenfalls fehlende Skills gemeinsam zu entwickeln.

Wie sieht es mit Künstlicher Intelligenz aus? Inwiefern wird KI die kaufmännische Arbeit verändern?

Unsere Berufsfelder sind davon unmittelbar und direkt betroffen. Momentan sieht es so aus, dass sehr viele Routinetätigkeiten mittelfristig mehr oder weniger wegfallen werden. Wir sehen heute schon, dass es deutlich weniger Ressourcen braucht, um eine Kreditorenbuchhaltung zu führen. Auch qualifizierte Tätigkeiten werden mehr und mehr davon betroffen sein. Aber dort, wo Menschen den Unterschied ausmachen, können bestehende Jobprofile auch an Attraktivität gewinnen. Für mich ist klar: KI bringt Chancen und Risiken mit sich – wir müssen den passenden Umgang damit finden.

Wie stehen Sie zu neuen Arbeitsformen wie Jobsharing oder bereits Homeoffice?

Dieses Interview führe ich gerade daheim, in der Nähe von Flims, durch. Wenn ich den ganzen Tag Videocalls habe, sehe ich nicht ein, warum ich das von Zürich aus machen sollte. Ich finde, neue Arbeitsformen sind eine Riesenchance und lösen auch gesellschaftliche Probleme wie die Wohnungsnot in Ballungszentren oder Verkehrsprobleme. Ich denke aber auch, dass wir noch verschiedene Formen ausprobieren und schärfen müssen. Beim Kaufmännischen Verband Schweiz sammeln wir aktuell mit unterschiedlichen Modellen Erfahrungen. Ich bin gespannt, welche sich etablieren.

«Meine Rolle sehe ich darin, die Stossrichtung vorzugeben. In der Umsetzung lasse ich sehr viele Freiheiten.»
Sascha M. Burkhalter

Wie treten Sie als Führungskraft auf? Was sind Ihre Werte?

Ich bin ein Teamplayer. Erfolg ist für mich nie eine Einzelleistung, sondern braucht Menschen, die gemeinsam ein Ziel erreichen wollen. Ich bin wohl der erste CEO beim Kaufmännischen Verband Schweiz, der keinen juristischen Hintergrund hat. Ich denke, dass ich aus meinen früheren Tätigkeiten eher den Fokus auf unternehmerische Entwicklungen lege und diese Stärke auch in die Organisation einbringen kann. Meine Rolle sehe ich darin, die Stossrichtung vorzugeben und die Ziele gemeinsam mit dem gesamten Team des Kaufmännischen Verbands Schweiz zu definieren. In der Umsetzung lasse ich sehr viele Freiheiten. Ich bin kein Kontrollfreak.

Von einem ehemaligen Buchhalter könnte man eine andere Führungsphilosophie erwarten.

Ich war eben auch nie ein typischer Buchhalter! Allzu sehr ins Detail zu gehen, liegt mir gar nicht. Ich halte aber auch ganz grundsätzlich nicht viel von Mikromanagement. Schliesslich habe ich auch nicht für jedes Problem die «richtige» Lösung. Dafür sind die Fachpersonen, die sich täglich mit den betreffenden Fragen befassen, viel besser geeignet. Wenn Fehler passieren, erwarte ich, dass wir die Situation gemeinsam analysieren und die Fehler beheben – da haben wir keine Zeit für Versteckspiele und Schuldzuweisungen. 

Die Gen Z bezeichnet in einer aktuellen Studie von Swiss Skills die Unternehmenskultur beziehungsweise ein angenehmes Arbeitsklima als zentralen Faktor, ob sie bei einer Firma bleiben möchte oder nicht. Deckt sich das mit Ihrer Wahrnehmung? Oder was erachten Sie als die Schlüsselfaktoren, um junge Talente zu rekrutieren und zu binden?

Das Arbeitsklima im betrieblichen Umfeld ist für alle wichtig. «Früher», und da schliesse ich auch meine Generation ein, waren wir vielleicht nicht so sensibilisiert auf diesen Punkt. Ein gutes Betriebsklima zu schaffen, wo Offenheit für Neues und Transparenz gelebt werden und in dem flexible Arbeitsformen möglich sind, kann ein Differenzierungsmerkmal von Arbeitgeber:innen sein. Ich denke, Unternehmen haben das mittlerweile realisiert und arbeiten entsprechend auch an ihrem Betriebsklima und ihren Werten, was letztlich allen Generationen zugutekommt. Auch ich möchte in einem Umfeld arbeiten, wo es mir wohl ist.

Zum Abschluss noch eine Frage zu Ihrer Person: Was macht Sie als Mensch aus, was ist Ihnen wichtig?

Ich sammle Kunst und lese sehr viel. Auch selbst kochen zählt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Ich wohne zudem mit meiner Frau, unserem 15-jährigen Sohn und unserem Hund inmitten der Natur. Da gehören Bewegung und Sport an der frischen Luft selbstverständlich dazu. Diese Aktivitäten geben mir einen Ausgleich, um meiner Arbeit wieder voller Tatendrang nachgehen zu können.


Veröffentlicht am: 16.5.2024

Autor:in

  • Rahel Lüönd

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