Seitennavigation & Suche
«Beziehung ersetzt Hierarchie»
Die beiden Schwestern Miriam und Nikola Engelhardt gehen im Buch «Wie tickst du? Wie ticke ich?» Generationenkonflikten und deren Lösungen auf den Grund. Die Soziologin Miriam Engelhardt spricht im Interview über gängige Missverständnisse und gibt Tipps für den Arbeitsalltag.
Gestützt auf jahrelange Erfahrung mit Engelhardt Training und reichlich Fachliteratur haben Sie ein Buch über Generationen bei der Arbeit geschrieben. Was fasziniert Sie an der Zusammenarbeit von unterschiedlichen Altersgruppen?
Miriam Engelhardt: Einerseits ist es einfach die Realität, dass unterschiedliche Generationen zusammenarbeiten und wir damit klarkommen müssen. Zweitens sind diverse Teams immer besser als sogenannte Monoteams, Alter ist da ein Kriterium von vielen. Und, wenn ich vielleicht noch einen dritten, persönlichen Punkt anfügen darf: Ich stamme aus einer Familie mit vielen Kindern. Es ist eine Bereicherung, wenn man es schafft, Unterschiedlichkeit harmonisch miteinander zu leben.
Was bringen denn die unterschiedlichen Generationen in ein Team mit?
Ältere Menschen haben eine riesige Prozesserfahrung, sind ruhiger geworden und mussten schon viel kommunizieren. Jüngere bringen mehr Modernität mit, das tut Unternehmen gut. Nehmen wir das Paradebeispiel IT: In einer Firma, die wir begleitet haben, wurden die Jüngeren ausgebildet und als Multiplikatoren eingesetzt. Sie haben dann Tandems mit älteren Mitarbeitenden geschaffen und diese entsprechend geschult. Alle waren glücklich – die Jüngeren, weil sie endlich ernst genommen wurden und die Älteren, weil sie immer fragen durften und im Zweier-Setting besser lernten als in einer grossen Schulung.
Das ist der Idealfall. Wie die echten Beispiele aus Ihrem Buch zeigen, birgt die Zusammenarbeit zwischen Generationen auch viel Konfliktpotenzial. Pünktlichkeit, Flexibilität, Ausbildung, Karriere, Eigenverantwortung, Work-Life-Balance oder Selbstverwirklichung – der Zündstoff schlummert fast überall. Gibt es Themenbereiche, die besonders häufig für Generationenkonflikte sorgen?
Die stärksten Herausforderungen sind da, wo ältere Generationen nach wie vor hierarchisch funktionieren. Die Generation Y oder Z macht nichts mehr, nur weil jemand Älteres oder jemand in einer höheren Funktion es sagt. Sie zollen allen Menschen gern Respekt. Vorausgesetzt, sie haben ihn verdient, weil sie freundlich sind und als Vorbild agieren. Dagegen finden sie Normalitäten wie Pünktlichkeit nicht so zentral.
Wie schafft man es, als Vorgesetzte jüngeren Mitarbeitenden trotzdem Werte wie Pünktlichkeit einzubläuen?
Sie merken es schon an der Wortwahl: Einbläuen heisst eigentlich so lange prügeln, bis es sitzt. Das war bei den Babyboomern noch Realität, heute funktioniert das schlicht nicht mehr. Wenn jüngere Menschen den Sinn hinter einer Aufforderung erkennen, machen sie es auch. Eine zweite mögliche Argumentationsschiene ist das Zwischenmenschliche. Wenn wir eine gute Beziehung haben, ist sie oder er pünktlich, weil es mir als Vorgesetzte wichtig ist.
Dazu muss ich noch sagen, dass längst nicht alle Jugendlichen unpünktlich sind. Es kommt einfach öfter vor als früher. Wenn mir ein Babyboomer sagt, dass beispielsweise eine Lernende ständig zu spät komme, frage ich immer zuerst nach, was ständig bedeutet.
Und?
Da kommt schon mal die Antwort: Zweimal im Monat. Möglicherweise kann man das auch verzeihen, statt seine ganze Energie in eine Sache zu stecken und dann vielleicht zu merken, dass es doch nicht immer funktioniert.
Wahrscheinlich sind gewisse Tugenden aber auch so tief verankert, dass man diese nicht einfach fallen lassen kann?
Genau. Eines meiner Lieblingsbeispiele hat sich in einem grossen Spital zugetragen. Die Führungskraft ging an einem Nebenraum vorbei, die Tür war offen und drei Lernende unterhielten sich. Die Babyboomerin dachte, sobald die mich sehen, machen sie sich an die Arbeit! Als dies nicht passierte, stellte sie sich dazu und fragte rhetorisch: «Macht ihr ein Kaffeekränzchen?» Statt zu erschrecken antworteten die Jugendlichen: «Ja!» Die Vorgesetzte fühlte sich vor den Kopf gestossen und nicht respektiert.
«Es ist eine Bereicherung, wenn man es schafft, Unterschiedlichkeit harmonisch miteinander zu leben.»Miriam Engelhardt
Wie hätte sie anders reagieren können?
Es ist schon mal wichtig zu merken, dass die Jugendlichen damit nicht frech sein wollten. Für sie gibt es dieses Hierarchiegefüge schlicht nicht mehr. Die Chefin hätte sich kurz dazustellen und fragen können, wie das Wochenende war. Nach ein, zwei Minuten hätte sie konkrete Aufträge vergeben und der Plauderstunde damit ein Ende setzen können.
Was für die einen selbstverständlich ist, muss man bei anderen klar artikulieren.
Das ist so. Gerade für die Generation X und ältere ist selbstverständlich, was alles zu tun wäre. Sie sagen dann beispielsweise: «Geh ins Zimmer von Frau Meier und schau, was zu tun ist.» Ein Lernender sieht aber nichts! Ihm fehlt schlicht die Erfahrung. Deshalb sind konkrete Aufträge ganz wichtig.
Die typischen Merkmale einer Generation ergeben sich aus deren prägenden Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Was auf der Welt passiert, hat direkte Auswirkungen auf unsere späteren Wertvorstellungen. Sind auch spätere Erlebnisse während dem Erwerbsalter noch relevant? Also war die Wirtschafts- und Immobilienkrise 2008 beispielsweise auch für Babyboomer einschneidend?
Die Finanzkrise ist ein gutes Beispiel. Ich dachte zuerst «Spannend, das gibt eine neue Generation». Im zweiten Moment war ich froh, dass es nicht so war – sie tat uns nämlich weniger weh als etwa Portugal oder Griechenland. Eine Krise muss also tatsächlich auch spürbar sein.
Um die Prägung besser aufzuzeigen, nehme ich die Covid-Krise. Covid hat einschränkende Massnahmen gebracht. Schon kleine Kinder mussten ihre Impulse permanent beschränken und lernten die Angst kennen, alles könnte ansteckend sein. Die zweite Gruppe sind die Jugendlichen: Wie sollen sie ihre sexuelle Identität ausbilden, wenn es keine Partys gibt und alle mit Mundschutz herumlaufen? Was ich damit sagen will: Für Kinder und Jugendliche sind zwei, drei Jahre eine Ewigkeit. Für Erwachsene, die schon viel mehr erlebt haben, ist das nicht mehr einschneidend. Deshalb sind Ereignisse in jungen Jahren so viel prägender.
Sie schreiben, früher waren die Unterschiede zwischen Jugend und Älteren durch Hierarchie verdeckt. Erst ab einem gewissen Alter wurde man ernst genommen oder bekam eine Führungsposition. Wie können heute junge Leute in Unternehmen vorangehen, ohne ihre älteren Teammitglieder vor den Kopf zu stossen?
Das ist eine gute Frage, weil Jüngere manchmal aus Versehen in Fettnäpfchen tappen. Zum Beispiel unterbrechen sie aus Begeisterung eine Babyboomerin, was in ihr die alte Wunde «Schweig, du bist nicht gefragt worden» trifft. Junge Führungskräfte können sich überlegen, welche Höflichkeitsformen sie bewusst bedienen wollen. Vorgesetzte müssen ohnehin bei allen Mitarbeitenden den richtigen Ton treffen – Generationenkompetenz gehört hier dazu.
Nun kann es passieren, dass Vorgesetzte in einem konkreten Fall sensibilisiert sind, hinschauen und doch keine gute Lösung finden. Was empfehlen Sie?
Die Methode Perspektivenwechsel funktioniert da allein oder auch zu zweit sehr gut. Zuerst überlege ich mir: Was ist für mich in dieser Situation total normal? Welche Gefühle kommen bei mir auf? Erst wenn mir nichts mehr einfällt, wechsle ich zum Gegenüber, versuche mich wirklich in dieses hineinzuversetzen. Vielleicht steht gerade eine Party an, ich beantworte noch kurz ein Whatsapp, habe womöglich Zweifel, ob die Ausbildung wirklich die richtige ist – da ist die Strassenbahn schon vorbei und ich komme zu spät. Wenn man diese Methode gründlich angewandt hat, kommt man meist auf gute Ideen.
Es braucht anscheinend vor allem viel Kommunikation, um die Generationen zusammenzubringen. Was ist Ihr Fazit, damit altersdurchmischte Teams harmonieren?
Mein Grundbild ist das Brückenbauen. Wir können nicht gleich werden, aber uns in der Mitte treffen. Die Beziehung ersetzt dabei die Hierarchie. Wenn alle Beteiligten ihren Anteil beitragen, kommt es gut.
- Dr. Miriam Engelhardt hat nach Studienaufenthalten in Paris und Poitiers in Freiburg im Brsg. in Soziologie promoviert und war unter anderem in der Jugendforschung tätig. 2008 wechselte sie von der Forschung in die Vermittlung und arbeitete in der Personal- und Organisationsentwicklung am Universitätsspital Basel mit Schwerpunkt Weiterbildung. 2012 gründete sie Engelhardt Training. Heute arbeitet sie als Referentin, Kursleiterin und Moderatorin zu den Themen Generationenkompetenz, Leadership, Teamentwicklung, Moderation und Auftrittskompetenz.
Generationen
-
Für Menschen, die zwischen 1945 und 1965 geboren sind, gilt der Leitsatz «Erst die Arbeit, dann das Vergnügen». Wenn die Arbeit noch nicht geschafft ist, machen sie selbstverständlich Überstunden. Sie halten Werte wie Fleiss, Disziplin und Pünktlichkeit hoch. Ausserdem sind für Babyboomer Hierarchien unantastbar. Dazu gehört, dass man Dienstältere oder allgemein ältere Personen im Betrieb besonders respektiert. Schliesslich sind sie in einer Zeit grossgeworden, in der Alter mit einer höheren Hierarchiestufe gleichzusetzen war.
-
Als Generation X bezeichnet man in der Soziologie die Jahrgänge von 1965 bis 1985. Sie ist von Individualismus geprägt, woraus sich im Arbeitsleben eine grosse Eigenverantwortung ergibt. Ebenfalls gelten die heute knapp 40- bis bald 60-Jährigen als eher kritisch. Die Generation X ist zuverlässig und weiss, was sie zu tun hat. Sie ist aber auch eigenwillig und hinterfragt.
-
Nichts ist unmöglich: Der ehemalige Slogan von Toyota steht auch für die Generation Y, welche die Jahrgänge von 1985 bis etwa 1995 bis 2000 umfasst. Den sogenannten Millennials stehen alle Türen offen – entsprechend möchten sich diese Menschen in ihren Zwanzigern und Dreissigern nicht zu schnell festlegen. Sie sind bestens ausgebildet und suchen Berufsfelder, in denen sie sich weiterentwickeln können. Im Job möchte Generation Y klare Regeln, handelt aber auch gern Ausnahmen aus. Work-Life-Balance und ein gutes Team sind ihr wichtig.
-
Die Generation Z kommt erst im Arbeitsleben an, weshalb die Datenlage noch dürftig ist. Die Jahrgänge ab 1995 oder etwas später prägt die permanente Reizüberflutung durch das Internet. Eine perfekte Selbstinszenierung, wie sie früher nur Prominente kannten, gilt für die Jugend von heute. Im Job wollen sie sich oft erst mal vom Druck befreien und die Erwartungen herunterschrauben, was ältere Generationen teils als Desinteresse fehlinterpretieren. Generation Z polarisiert: Während manche im Rampenlicht aufgehen, ziehen sich andere immer mehr zurück.
Erstmals veröffentlicht am: 6.7.2022
Letzte Aktualisierung: 30.7.2024
Autor:in: Rahel Lüönd
Buchtipp: Wie tickst du? Wie ticke ich?
Babyboomer, Generation X bis Z - Altersgruppen verstehen in Bildung und Beruf
Worin unterscheiden sich Babyboomer, die Generationen X, Y und Z im Berufsleben? Wie ist das Verhältnis der Jugend zu Autorität und warum ist der Blick so oft beim Smartphone? Wie können die unterschiedlichen Generationen motiviert werden? Wie lassen sich Missverständnisse vermeiden? Menschen, die zur selben Zeit im gleichen Kulturkreis aufwachsen, machen ähnliche Erfahrungen. Diese prägen ihr Denken und Handeln. Auf Basis soziologischer Forschung schafft dieses Buch Verständnis für die Unterschiede, für typische Werte und Verhaltensweisen, damit die Zusammenarbeit zwischen Menschen unterschiedlichen Alters besser gelingt.
Von: Miriam Engelhardt, Nikola Engelhardt