Seitennavigation & Suche

KI in der Arbeitswelt (Teil 1): Wie verändern sich Berufe und Tätigkeiten?

Die Arbeitswelt ist im Wandel und wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz (KI) geprägt. Berufsbilder, Tätigkeiten sowie Arbeitsformen ändern sich und neue Skills und Kompetenzen werden erforderlich. Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz und Geschäftsführerin der politischen Allianz «die plattform», beleuchtet im Interview die Chancen und Herausforderungen, die mit dem Einsatz von KI verbunden sind, sowie deren Auswirkungen auf die Berufe und die Arbeitskräfte.

Welche Chancen und Risiken bietet KI und kann sie Berufe attraktiver machen?

KI verändert unsere Job-Profile: Während einige Berufe und Aufgaben mit der Zeit verschwinden, werden viele andere um neue Aspekte erweitert. KI bietet also durchaus auch Chancen. Es kommt aber ganz darauf an, wie Unternehmen KI konkret in der Praxis umsetzen – als reine Massnahme zur Automatisierung oder als Instrument, um Aufgaben zu erweitern respektive Jobprofile attraktiver zu machen. Im Gegensatz zu anderen technischen Errungenschaften fällt bei KI das hohe Tempo auf, mit dem die Entwicklungen voranschreiten. Dass der Mensch komplett von der KI verdrängt wird, glauben nur wenige Expertinnen und Experten. Menschliche Fähigkeiten wie kritisches Denken werden in der Zukunft möglicherweise sogar noch wichtiger.

Wie kann KI dazu beitragen, die Effizienz und Produktivität bei der Arbeit zu verbessern?

Im Bereich Handel und der Unternehmensführung ist von KI tatsächlich ein grosser Einfluss auf Aufgaben und Tätigkeiten zu erwarten, denn KI ersetzt nicht einfach die einfachen Alltagstätigkeiten (Routinearbeiten), sondern viele Tätigkeiten, die eine vertiefte, menschliche Ebene erfordern, wie Kenntnisse in Sprachen und Zahlen. Nicht nur zur Textgenerierung (wie das Tool ChatGPT zeigt), sondern auch für Koordinations- und Analyseaufgaben aller Art. KI ist sehr gut einsetzbar im Umgang mit vielen Informationen und regelbasierten Aktivitäten. KI betrifft demnach nicht primär den Tieflohnsektor, sondern die anspruchsvolleren und höher bezahlten Jobs, bei denen Aufgaben vereinfacht werden können.  Man erhofft sich durch den Einsatz von KI also auch eine Steigerung der Produktivität, was sich insbesondere positiv auf den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auswirken könnte.

«Dass der Mensch komplett von der KI verdrängt wird, glauben nur wenige Expertinnen und Experten. Menschliche Fähigkeiten wie kritisches Denken werden in der Zukunft möglicherweise sogar noch wichtiger.»
Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz

Was sind Berufe mit hohem Automatisierungspotenzial?

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat sich mit dem Thema KI befasst und viele Berufe anhand ihrer Tätigkeiten nach der ISCO (Standard Classification of Occupations) untersucht. Sie hat die Berufe in Berufe mit hohem Automatisierungspotenzial und hohem Ausbaupotenzial eingeteilt, basierend auf dem Anteil der Aufgaben, die mithilfe von KI ausgeführt werden können (insbesondere «Large Language Models»). Berufe mit einem hohen Anteil an «ersetzbaren Tätigkeiten» fallen in die Kategorie der Automatisierung, während Berufe mit einem gewissen Anteil an «ersetzbaren Tätigkeiten», aber auch einem erheblichen Anteil an «nicht ersetzbaren Tätigkeiten» in die Kategorie Ausbau fallen. Dazwischen gibt es viel Spielraum. Berufe mit hohem Automatisierungspotenzial sind Berufe in den Bereichen Handel und Betriebswirtschaft, insbesondere Sekretariatstätigkeiten, Banken und Versicherungen, Buchhaltung, Personalwesen und Verwaltungstätigkeiten im Allgemeinen. Im Bereich der Wissensberufe sind die Bereiche MINT (Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften), IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) und Rechtswesen betroffen. Die politische Allianz des Kaufmännischen Verbands Schweiz, die plattform, vertritt über ihre acht Partner-Verbände viele dieser Berufe.

Welche Erkenntnisse hat die ILO zudem gewonnen?

Die ILO hat untersucht, wie weit diese Berufe weltweit verbreitet sind, wer sie ausübt (Männer/Frauen) und wie viel sie verdienen. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • KI wird Arbeitsplätze eher ergänzen oder ausbauen als ersetzen.
  • KI ersetzt eher Arbeitsplätze mit mittlerem und hohem Einkommen.
  • Der Ausbau der Tätigkeiten durch KI betrifft beide Geschlechter gleich.
  • Die Substitution durch KI betrifft Frauen viel stärker als Männer (Sprachen/Kommunikation).
  • Die Auswirkungen der Automatisierung können sich auf den Umsatz auswirken.
  • Der Implementierung von KI in der Arbeitswelt und die Konsequenzen für die Mitarbeitenden wurde bisher wenig Beachtung geschenkt.
  • Die Implementierung sollte sorgfältig überwacht und gegebenenfalls reguliert werden (KI sollte nicht nur aus technologischer Sicht im Fokus stehen und daher nur aus dieser Perspektive betrachtet werden).
«KI muss unter Beteiligung und direkter Einbindung der Mitarbeiter:innen umgesetzt werden.»
Ursula Häfliger

Was sind die Risiken bei der Verwendung von KI am Arbeitsplatz?

Dem Einsatz und der Implementierung von KI in der Arbeitswelt wurde hierzulande bisher wenig Beachtung geschenkt. Dies liegt daran, dass der Einsatz und die Umsetzung auf Unternehmensebene in der Schweiz oft erst am Anfang stehen. Es kann zu einzelnen Pilotprojekten kommen und (insbesondere in grösseren Unternehmen) erfolgt die Umsetzung oft «top-down». Für den Kaufmännischen Verband Schweiz und seine politische Allianz die plattform, die das Thema KI ebenfalls intensiv betreut, ist es wichtig, nicht die gleichen Fehler zu wiederholen, die bereits bei anderen technischen Fortschritten gemacht wurden, nämlich dass man die Technologie zuerst einführt und sich die Menschen dann so gut wie möglich an diese neue Technologie anpassen müssen. KI hat grosses Potenzial, die Arbeit effizienter und interessanter zu machen. Sie muss daher auch unter Beteiligung und direkter Einbindung der Mitarbeiter:innen umgesetzt werden. Sie sind diejenigen, die die internen Prozesse ihres Unternehmens am besten kennen und sich daher von Anfang an mit der neuen Technologie vertraut machen können. Dazu bedarf es neuer Kompetenzen, die man sich «on-the-job» aneignen kann.

Wie sieht es mit den psychosozialen Risiken aus?

Der Einsatz von KI in der Arbeitswelt birgt auch psychosoziale Risiken. Der Einsatz von KI wurde beispielsweise bereits als Autonomieverlust wahrgenommen. Autonomie und Selbstbestimmung sind zwei wichtige Faktoren für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter:innen, daher muss man diese im Auge behalten.
Die zweite Art von Risiken betrifft ethische und rechtliche Fragen – Risiken, die derzeit intensiv diskutiert und öffentlich gemacht werden. Am Arbeitsplatz kann dies mit der Überwachung von Mitarbeitenden oder ihrer Arbeit durch KI verbunden sein (in der Schweiz und der EU übrigens verboten), in verschiedenen Prozessen, etwa bei der Rekrutierung (Risiko einer Vorauswahl oder Befangenheit) oder der Entscheidungsfindung durch KI, im Allgemeinen basierend auf numerischen Daten oder den verwendeten Regeln, jedoch nicht auf dem menschlichen Charakter. Die riesigen Datenmengen, die KI benötigt, werfen auch Fragen zu Grundrechten, Datenschutz und mehr auf.


Erstmals veröffentlicht am: 22.5.2024

Autor:in

  • Isabel Meraner

    Senior Communications Manager, Kaufmännischer Verband Schweiz

Beliebte Inhalte