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Lehrabgänger:innen-Umfrage 2023: Betriebe müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen
16.4.2024 – Die Lehrabgänger:innen-Umfrage 2023 des Kaufmännischen Verbands Schweiz hat gezeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Befragten (92.8%) die kaufmännische Ausbildung positiv bewertet und sich gut auf den Arbeitsmarkt vorbereitet fühlt. Und zurecht: 70.7% der Jugendlichen haben nach Abschluss der KV-Lehre bereits eine Arbeitsstelle gefunden. Als heikel erweisen sich jedoch weiterhin die Einstiegslohn- und die Überstunden-Praxen gewisser Betriebe sowie die mangelnde Beteiligung an der «Bring Your Own Device»-Policy und den Schulmaterialkosten.
Mit rund 12 500 Absolvierenden pro Jahr ist die KV-Lehre die beliebteste Grundbildung der Schweiz. Um die Arbeitsbedingungen während und nach der Lehre, den Berufseinstieg und die Zukunftspläne der jungen Berufsleute zu untersuchen, führt der Kaufmännische Verband Schweiz seit 2006 jährlich eine Umfrage bei den EBA- und EFZ-Absolvierenden der betrieblich organisierten Grundbildung (BOG) und der schulisch organisierten Grundbildung (SOG) durch. An der ersten Erhebungswelle im Juli 2023 haben 3879 Personen, und somit knapp ein Drittel aller KV-Lehrabgänger:innen der Schweiz, teilgenommen. An der zweiten Erhebungswelle im November 2023 waren es 1165 Personen.
Positive Wahrnehmung der KV-Lehre
«Insgesamt 92.8% der Teilnehmenden haben bestätigt, dass sie sich durch die kaufmännische Grundbildung gut bis sehr gut auf die Arbeitswelt vorbereitet fühlen», berichtet Svenja Albrecht, Projektmitarbeiterin Bildungspolitik, welche die diesjährige Befragung verantwortet. Dabei gilt der Betrieb mit 5.1 von insgesamt 6 Punkten als beliebtester Lernort (vgl. Grafik 1). Es folgen die Schule mit 4.2 und die überbetrieblichen Kurse (üK) mit 3.8 Punkten. «Das spricht deutlich für den betrieblichen Teil der Ausbildung und unterstreicht die Rolle der Berufs- und Praxisbildner:innen im Betrieb, welche die Freude am Beruf an die nächste Generation weitergeben.»
Gelungener Berufseinstieg
Dabei bietet die KV-Lehre nach wie vor einen idealen Einstieg in die Berufswelt: Die Mehrheit der KV-Absolvent:innen (70.7%) ist zum Zeitpunkt der zweiten Erhebungswelle im November 2023 erwerbstätig (vgl. Grafik 2). «Das sind 4.8 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr», sagt Albrecht erfreut. Rund 21.0% befinden sich nach der Lehre in einer nicht-erwerbstätigen Situation wie einer Weiterbildung, einem Sprachaufenthalt oder im Militärdienst. Nur 5.2% befinden sich im November 2023 tatsächlich auf Stellensuche.
Höhere Löhne für die kaufmännischen Berufseinsteiger:innen
Ein Fokus der Befragung lag auch dieses Jahr erneut auf den Löhnen der Berufseinsteiger:innen. Zwar ist der jährliche Medianlohn für Berufseinsteiger:innen im Jahr 2023 um CHF + 1300.- im Vergleich zum Vorjahr angestiegen, dennoch erhalten knapp 20% der Lehrabgänger:innen weiterhin ein Salär, welches sich unter den Minimallohnempfehlungen 2023 des Kaufmännischen Verbands Schweiz von CHF 54'080.- befindet (vgl. Grafik 3). Diese Lohnempfehlungen wurden für 2024 angesichts der Teuerung nach oben angepasst, damit die Lehrabgänger:innen mit einer fairen Entlöhnung rechnen können. «Anerkennung geht auch über den Lohn, wie es die aktuellen Lohnrunden zeigen», warnt Albrecht. «Auch junge Berufseinsteiger:innen sollten fair für ihre Arbeit entlöhnt werden. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels, in welchen die Betriebe auf gut ausgebildetes Personal angewiesen sind, können die Lehrabgänger:innen besonders selbstbewusst einen guten Einsteigerlohn verhandeln.» Aus diesen Gründen fordert der Kaufmännische Verband Schweiz neu einen Minimallohn von CHF 58'500.- für Berufseinsteiger:innen.
Problematische Überstunden-Praxen
Knapp die Hälfte der Teilnehmer:innen gibt an, während der Grundbildung wöchentlich Überstunden leisten zu müssen – im Durchschnitt 2 Stunden pro Woche (vgl. Grafik 4). Rund 10% berichten gar von täglich geleisteten Überstunden. Weitere 25.1% geben an, dass sie ohne Überstunden die Arbeitsaufträge nicht hätten bewältigen können. Albrecht bestätigt: «Dieser Trend ist durchaus besorgniserregend. Häufige Überstunden können sich negativ auf die psychische Gesundheit und den Erfolg der Lernenden auswirken.» So geben 17.1% der Lernenden an, dass sie das Leisten von Überstunden gelegentlich herausfordernd finden und weitere 2.8%, dass Überstunden eine starke Belastung darstellen. Hinzu kommt, dass ein beträchtlicher Anteil der Lernenden – immerhin fast 6% – dafür keine Kompensation erhalten hat, was gemäss Arbeitsrecht nicht erlaubt ist.
Mangelhafte BYOD-Policy und Beteiligung an den Schulmaterialkosten
Besonders ernüchternd ist die Feststellung, dass über 50% der Lehrabgänger:innen ihre eigenen Geräte bezahlen und in die Schule mitbringen mussten, ohne jegliche finanzielle Unterstützung ihrer Betriebe (vgl. Grafik 5). Vor allem Lernende aus finanziell schwächeren Haushalten werden somit benachteiligt. «Das ist auf mehreren Ebenen problematisch», führt Albrecht fort. «Es darf nicht dazu kommen, dass sich junge Menschen gegen eine KV-Lehre entscheiden, weil sie nicht die Mittel haben, sich einen Laptop zu leisten, welcher den BYOD-Vorschriften der Berufsfachschule entspricht.» Die Haltung des Kaufmännischen Verbands Schweiz ist deshalb glasklar: Wenn ein Betrieb seinen Lernenden kein Gerät zur Verfügung stellen kann, haben die Betriebe die Kosten für die Anschaffung zu tragen.
Ähnlich steht es mit den Schulmaterialkosten: «Betriebe sollten nicht nur für Bücher oder andere physische Materialien aufkommen, sondern auch digitale Lernplattformen unterstützen», sagt Albrecht. «Leider geben 27.6% der Befragten an, dass ihr Betrieb kein einziges Schulmaterial bezahlt hat.» Bei weiteren 32% der Lernenden trugen die Betriebe die Kosten teilweise. Weniger als die Hälfte der Betriebe (40.5%) hat die gesamten Schulmaterialkosten übernommen.
Betriebe müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen
Für den Kaufmännischen Verband Schweiz besteht grosser Handlungsbedarf, vor allem hinsichtlich der neuen reformierten KV-Lehre. Lernende, die im Sommer 2024 ihre Ausbildung beginnen, müssen die Abschlussprüfungen alle unter der neuen BYOD-Policy antreten. Albrecht appelliert: «Wir fordern Betriebe auf, ihre Fürsorgepflicht entsprechend wahrzunehmen: Löhne von Berufseinsteiger:innen müssen angehoben und Überstunden während der Lehre sollten, wenn immer möglich, verhindert werden. Wenn Letztere nicht vermieden werden können, müssen sie zwingend kompensiert oder ausbezahlt werden. Die Finanzierung von Schulmaterialien und BYOD-Geräten muss sichergestellt werden. Nur so kann garantiert werden, dass Jugendliche aus allen sozialen Schichten eine faire Chance auf eine KV-Lehre haben.» Um die BYOD-Situation zu klären und zu verbessern, hat der Kaufmännische Verband Schweiz das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten.
Kommunikation
Downloads & Links
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Medienmitteilung: Lehrabgänger:innen-Umfrage 2023: Betriebe müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen (16.4.2024)Download
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Kurzbericht Ergebnisse der Lehrabgänger:innen-Umfrage 2023Download
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Schlussbericht - Ergebnisse Lehrabgänger:innen-Umfrage 2023Download
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MediendossierDownload
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Lehrabgänger:innen-Umfrage
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Die KV-Reform
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«Bring your own device» in den Schulen – Wer bezahlt?