Seitennavigation & Suche
Mental Health am Arbeitsplatz: zwischen Leistung und Selbstschutz

Psychische Belastungen im Job nehmen zu – doch wie können Unternehmen gegensteuern? Prof. Dr. Andreas Krause forscht an der Fachhochschule Nordwestschweiz im Bereich mentale und organisationale Gesundheit. Er gibt Einblicke in das Spannungsfeld zwischen Leistung und Selbstschutz sowie praxisnahe Lösungen.
In vielen Betrieben entsteht ein hoher Leistungsdruck, der dazu führt, dass Mitarbeitende ihre eigenen Grenzen überschreiten – oft unbewusst. In der Wissenschaft ist dafür der Begriff der Selbstgefährdung vorgeschlagen worden. Andreas Krause ist Co-Leiter des Instituts für Mentale und Organisationale Gesundheit der Fachhochschule Nordwestschweiz und erklärt das Phänomen wie folgt: «In der Selbstgefährdung geht es beispielsweise darum, dass ich sehr lange arbeite, dass ich auf Freizeitaktivitäten verzichte oder, dass ich arbeite, obwohl ich krank bin.» Diese Verhaltensweisen erscheinen zunächst als Ausdruck von Engagement und Leistungswillen, führen jedoch langfristig zu gesundheitlichen Problemen wie Erschöpfung, Schlafstörungen oder sogar Burnout. Besonders tückisch: Die Betroffenen nehmen Warnsignale oft nicht ernst oder wischen sie beiseite. Externe Rückmeldungen von nahestehenden Personen oder kollegialer Austausch können dabei helfen, frühzeitig gegenzusteuern. Unternehmen sollten zudem aktiv eine Kultur schaffen, in der es erlaubt ist, Belastungen offen anzusprechen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die Illusion einer einheitlichen Unternehmenskultur
Häufig wird angenommen, dass ein Unternehmen eine homogene Kultur hat, die für alle Mitarbeitenden gleich ist. Doch laut Krause ist das eine Illusion: «In jedem Betrieb haben wir viele verschiedene Kulturen, die dort dezentral entstehen.» Diese Vielfalt kann sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance sein. Unterschiedliche Teams entwickeln oft eigene Werte und Normen, die stark von der jeweiligen Führungskraft, der Arbeitsbelastung und den internen Dynamiken geprägt sind. Daher sind nicht allgemeine Richtlinien, sondern individuelle Anpassungen in Teams und Abteilungen entscheidend.
Gemäss Krause zeigen Untersuchungen, dass die Unterschiede innerhalb eines Unternehmens oft grösser sind als zwischen verschiedenen Unternehmen. Regelmässige Gespräche über Arbeitsbelastungen und Stress sind essenziell, um Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Gegenmassnahmen ergreifen zu können. Besonders effektiv sind Strukturen, die es den Mitarbeitenden ermöglichen, offen über Belastungen zu sprechen und Lösungen im Team zu entwickeln. Studien belegen, dass Betriebe mit einer offenen Diskussionskultur nicht nur gesündere Mitarbeitende haben, sondern auch eine höhere Produktivität aufweisen. Unternehmen, die diesen Aspekt vernachlässigen, riskieren, dass sich negative Muster verfestigen und langfristig das gesamte Arbeitsklima belasten.
«In jedem Betrieb haben wir viele verschiedene Kulturen, die dort dezentral entstehen.»Andreas Krause, Co-Leiter des Instituts für Mentale und Organisationale Gesundheit
Mitarbeiterbefragungen: Potenzial oder reine Pflichtübung?
Viele Unternehmen führen regelmässig Befragungen zur Mitarbeiterzufriedenheit durch. «Oft fragen sich Mitarbeitende: Wozu die Umfrage, wenn sich danach sowieso nichts ändert?», sagt Krause. Denn häufig bleiben konkrete Massnahmen aus oder werden nicht ausreichend kommuniziert, sodass Mitarbeitende das Vertrauen in solche Initiativen verlieren.
Damit Erhebungen Wirkung zeigen, braucht es nicht nur Analysen, sondern eine gezielte Umsetzung von Massnahmen. Unternehmen müssen sicherstellen, dass aus den gesammelten Daten konkrete Handlungspläne abgeleitet werden, die transparent und für alle nachvollziehbar sind.
Ein Beispiel aus dem Finanzsektor zeigt, dass Anpassungen, wie der Abbau unnötiger Kontrollmechanismen, flexible Arbeitsmodelle und mehr Autonomie zu einer signifikanten Verbesserung der Arbeitszufriedenheit führen. Entscheidend ist dabei, dass Massnahmen nicht nur beschlossen, sondern auch konsequent umgesetzt und langfristig evaluiert werden.
Weniger Puffer, mehr Stress: Die Kehrseite der digitalen Transformation
«Die digitale Transformation hat viele Arbeitsprozesse beschleunigt, was dazu führt, dass Arbeitsplätze mit geringeren Anforderungen verschwinden», erklärt Krause. Dies bedeutet, dass nicht nur für Geringqualifizierte weniger Aufgaben zur Verfügung stehen, sondern auch Hochqualifizierte kaum noch Gelegenheit haben, zwischenzeitlich durch weniger mentale anspruchsvolle Tätigkeiten zu entspannen.
Gleichzeitig führt der steigende Produktivitätsdruck dazu, dass Unternehmen Schwierigkeiten haben, flexible Lösungen für Mitarbeitende mit temporären Leistungseinbussen zu schaffen. «In dem Bestreben, jede Stunde effizient zu nutzen und verrechenbar zu machen, bleibt oft wenig Spielraum für Entlastungen», so Krause. Führungskräfte stehen dabei vor einem Dilemma: Einerseits sollen sie gesund führen und Rücksicht nehmen, andererseits müssen sie messbare Ziele erfüllen, ohne dass zusätzliche Ressourcen für Entlastungen vorhanden sind.
Um diesem Spannungsfeld entgegenzuwirken, sollten Unternehmen gezielt Kapazitäten schaffen, um flexiblere Arbeitsmodelle zu ermöglichen. Dies kann durch angepasste Arbeitsvolumina, temporäre Entlastungen oder spezifische Unterstützungsmassnahmen geschehen, um langfristig sowohl die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden als auch die betriebliche Leistungsfähigkeit zu erhalten.
Gute Arbeitsbedingungen als Schlüssel zur mentalen Gesundheit
Was macht eine gesunde Arbeitsumgebung aus? Für Krause sind es primär drei Faktoren:
- Ein positives soziales Miteinander: Kollegiale Unterstützung und eine verständnisvolle Führungskraft sind entscheidend.
- Autonomie und Entscheidungsspielräume: Mitarbeitende, die Gestaltungsspielraum haben, fühlen sich weniger belastet.
- Angemessene Arbeitsmenge: Zu hohe Arbeitsintensität und ständige Unterbrechungen wirken sich negativ aus.
Die Herausforderung für die meisten Unternehmen liegt darin, diese Aspekte gezielt zu fördern. Nur wenn über psychische Belastungen offen gesprochen wird und konkrete Massnahmen umgesetzt werden, können nachhaltige Verbesserungen erreicht werden.
Veröffentlicht am: 9.4.2025
Autor:in: Dominic Karrer
«Oft fragen sich Mitarbeitende: Wozu die Umfrage, wenn sich danach sowieso nichts ändert?»Andreas Krause
Infox
-
Prof. Dr. Andreas Krause ist Co-Leiter des Instituts für Mentale und Organisationale Gesundheit an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW in Olten. Er forscht an der Schnittstelle von Arbeit und Gesundheit und entwickelt in Zusammenarbeit mit Unternehmen Strategien zur gesundheitsförderlichen Gestaltung neuer Arbeitsformen.
-
Am Institut für Mentale und Organisationale Gesundheit beschäftigen sich Forschende mit der gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeitsbedingungen und organisationalen Veränderungen sowie der Stärkung von Resilienz auf individueller, Team- und Organisationsebene.
Podcast-Mini-Serie «Mental Health am Arbeitsplatz» (2024)
Der Kaufmännische Verband Schweiz hat für seinen Podcast «kfmv talks» eine Staffel zum Thema «Mental Health am Arbeitsplatz» produziert. Die fünfteilige Serie bricht gesellschaftliche Tabus: Fachleute aus Forschung, Coaching, BGM und Prävention vermitteln ihr Wissen und geben wertvolle Praxistipps. Aber nicht nur Fachleute kommen zu Wort: Betroffene* erzählen authentisch, wie sie psychische Belastungen und Erkrankungen am Arbeitsplatz erlebt und bewältigt haben. Die Blogbeiträge basieren auf den jeweiligen Interviews.
*Ihre Namen wurden geändert und ihre Aussagen nachgesprochen.