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«Skill-Based-Hiring ist ein Muss»
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Die Digitalisierung und der demografische Wandel verändern die Arbeitswelt. Was bedeutet dies für die Entwicklung des Arbeitsmarkts und was sind die Folgen für die Unternehmen? Wie wirken sich diese Veränderungen auf die Arbeitnehmenden aus? Alain Gut, Director Public Affairs bei IBM Schweiz und Ausschuss-Leiter bei digitalswitzerland, spricht im Interview über die Wichtigkeit von lebenslangem Lernen, Skill-Based-Hiring und menschenzentriertem Arbeiten.
Was bedeutet für Sie menschenzentriertes Arbeiten?
Menschenzentriertes Arbeiten hat zwei Aspekte für mich. Einerseits geht es darum, Arbeitsmodelle anzubieten, die flexibel sind, das heisst, dass eine gewisse Autonomie besteht, ob remote oder vor Ort gearbeitet wird. Andererseits bedeutet es für mich auch eine Unternehmenskultur und ein Personalmanagement, in dem «menschlicher» miteinander umgegangen wird und Arbeitsplätze «menschengerechter» gestaltet werden.
Können Sie das ausführen? Wie kann man «menschlicher» miteinander umgehen und Arbeitsplätze «menschengerechter» gestalten?
Ein Beispiel dafür ist Diversity. Oft wird Diversity Management nur in Bezug auf Geschlecht gesehen, nicht aber auf Alter oder andere Merkmale. Menschengerechter ist, wenn auf die Individuen in ihrer Vielfältigkeit und mit ihren Bedürfnissen Rücksicht genommen wird. Es reicht nicht, einfach ein paar Diversitätstage durchzuführen. Es braucht Massnahmen, welche den Mitarbeitenden wirklich jeden Tag die besten Rahmenbedingungen bieten. Und Diversity muss auch bei der Rekrutierung berücksichtigt werden. Für KMU ist das z.T. schwieriger, da sie über weniger Ressourcen verfügen.
«Es braucht Massnahmen, welche den Mitarbeitenden wirklich jeden Tag die besten Rahmenbedingungen bieten.»Alain Gut, Director Public Affairs bei IBM Schweiz und Ausschuss-Leiter bei digitalswitzerland
Welche Rolle spielt Skill-Based-Hiring? Ist das kompetenzbasierte Rekrutieren von Arbeitnehmenden ein Weg zu einer menschenzentrierteren Arbeitsform?
Die digitalen Kompetenzen der Bevölkerung sind grundsätzlich in fast allen Ländern auf einem viel zu tiefen Niveau. Dies ist unter anderem ein wichtiger Grund für den Fachkräftemangel in der Technologie-Branche, aber auch in allen anderen, immer mehr digital werdenden Branchen. Das Interesse an MINT-Berufen ist zu gering. Es gilt generell für Unternehmen, mehr Quereinsteigende und Frauen zu gewinnen und älteren Mitarbeitenden über das Rentenalter hinaus die Möglichkeit zu geben, ihre Erfahrung weiterhin einzubringen. Deshalb ist lebenslanges Lernen das Gebot der Stunde und Skill-Based-Hiring ein Muss. Die interne Aus- und Weiterbildung gewinnt deshalb immer mehr an Bedeutung.
Die demographische Entwicklung wird den Fachkräftemangel weiter stark vergrössern, da mehr Mitarbeitende in Pension gehen als neue in den Arbeitsmarkt eintreten. Zudem treten die jüngeren Generationen mit anderen Erwartungen beispielsweise in Bezug auf Work-Life-Balance oder Nachhaltigkeit in den Arbeitsmarkt ein. Das menschenzentrierte Arbeiten ist für mich eher eine kulturelle Frage, das Skill-Based-Hiring aber mit Sicherheit ein wesentlicher Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels.
Bei einer kompetenzbasierten Organisation liegen der Mensch und seine Fähigkeiten im Vordergrund, nicht der Job. Welches sind die Vorteile für die Organisation und welches für die Angestellten?
Die Antwort liegt in der Förderung eines Wachstumsdenkens und eines Kulturwandels innerhalb der Unternehmen. Es braucht engagierte und mitwirkende Mitarbeitende. Deshalb muss das Management sicherstellen, dass die Mitarbeitenden in der Lage sind, zukunftssichere Fähigkeiten zu erwerben. Die Unternehmen müssen Plattformen und Tools entwickeln, um die Mitarbeitenden zum Lernen zu befähigen und eine Lernkultur zu schaffen, um neue und bisherige Mitarbeitenden aus- und weiterzubilden.
«Kultur ist die grundlegende Kraft, da es dabei um das Wie geht. Wie wird interagiert? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wie werden die besten Ideen eingebracht? Und wie werden die grössten Chancen genutzt?»Alain Gut
Wie können Arbeitgeber:innen sinnstiftende Arbeit fördern?
Werte gewinnen immer mehr an Bedeutung, da sie einen positiven Einfluss auf die Welt in Bezug auf die Umwelt, die Gesellschaft und die Geschäftsethik ausüben. Die Umwelt; das heisst die Entwicklung besserer Wege zur Erhaltung natürlicher Ressourcen, zur Verringerung der Umweltverschmutzung und zur Minimierung klimabedingter Risiken. Die Gesellschaft; das heisst die Schaffung von Freiräumen und Möglichkeiten für alle, mit dem Fokus auf Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion. Die Unternehmensführung; das heisst Innovationen, Strategien und Praktiken, die Ethik, Vertrauen, Transparenz und vor allem Verantwortung in den Vordergrund stellen. Diese Einteilung ist auch unter dem englischen Begriff ESG (Environmental, Social, Governance) bekannt.
Für alle Unternehmen nimmt der ökologische und wirtschaftliche Druck zu, ihre ESG-Prozesse effizienter und sinnstiftender zu gestalten.
Das Interview wurde erstmals im Rahmen der Studie «Potenzial von New Work» der politischen Allianz die plattform des Kaufmännischen Verbands Schweiz veröffentlicht.
Veröffentlicht am: 16.2.2025
Infox
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Dr. Alain Gut ist Director Public Affairs bei IBM Schweiz. Er hat an der Universität Zürich Wirtschaftsinformatik studiert und promoviert. Dr. Alain Gut setzt sich in zahlreichen Kommissionen und Gremien für die Themen Informatik in der Bildung, Cyber Security, Mobilität, Datenpolitik und Nachhaltigkeit ein. Er leitet u.a. den Ausschuss «Bildung, Fachkräfte und Diversität» von digitalswitzerland – einer schweizweiten, branchenübergreifenden Initiative, die das Ziel verfolgt, die Schweiz zu einer der führenden digitalen Nationen der Welt zu machen.