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Future Work: Vom starken «Ich» zum noch stärkeren «Wir»

In einer Zeit, in der Flexibilität und Autonomie den Arbeitsplatz prägen, plädiert die Beraterin und Unternehmerin Barbara Josef für neue Ansätze. Ihre provokante These: Die ursprüngliche Bedeutung von «New Work» hat seinen Zenit überschritten. Statt eines übertriebenen Fokus auf das Individuum, plädiert sie für ein stärkeres Gemeinschaftsgefühl. Doch was genau meint sie damit? Und wie können Firmen diesen Wandel gestalten?

Barbara Josef arbeitete schon im Homeoffice, als den Begriff hierzulande noch kaum jemand kannte. Zwischen 2008 und 2015 leitete sie die Kommunikation bei Microsoft Schweiz. «Das Unternehmen gehörte bei der Umsetzung von neuen Arbeitsformen gemeinsam mit anderen Technologieunternehmen zu den Pionieren.» Und weil vieles neu war, was Microsoft tat, zog das Büro von Microsoft sehr viele Besucher:innen aus unterschiedlichsten Branchen an, die verstehen wollten, wie das Unternehmen arbeitet. «Was heute selbstverständlich ist, war damals für viele noch Zukunftsmusik», erinnert sich Josef. Sie genoss es, ihren Gästen die Microsoft-Welt näherzubringen. Und das so sehr, dass sie sich irgendwann dazu entschied, sich fortan hauptberuflich mit der Zukunft der Arbeitswelt zu befassen. 

«Die New-Work-Bewegung war revolutionär, weil sie eine Arbeitswelt vorsah, in der der Mensch und seine individuellen Vorstellungen einer sinnhaften Arbeit im Fokus standen.»
Barbara Josef, Unternehmerin und Beraterin

«New Work» – ein alter Zopf? 

In der Folge gründete sie mit ihrer Geschäftspartnerin Simone Büchi die 5-9 AG. Zusammen beraten und unterstützen die beiden Frauen Organisationen bei der Umsetzung von neuen Arbeitswelten und -formen. Als Bloggerin und Autorin teilt Barbara Josef ihre Erfahrungen zudem regelmässig mit einem breiten Publikum. Dabei scheut sie sich auch nicht vor plakativen Meinungen. Aktuelles Beispiel hierfür ist ein Blog-Beitrag, den sie unter dem Titel «R.I.P New Work» veröffentlichte. In dem Text plädierte sie dafür, dass sich die Arbeitswelt «würdevoll» vom «New Work»-Hype verabschieden soll. 

Was steckt genau hinter dieser Aussage? Und was war «New Work» eigentlich schon wieder genau? «Geprägt wurde der Begriff vor 40 Jahren vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann und stand für eine neue Art des Arbeitens», erklärt Josef. Mitte der 1980er-Jahre erholte sich die Weltwirtschaft gerade von zwei Rezessionen mit einer nach wie vor hohen Arbeitslosenquote. «Dass Bergmann vor dem Hintergrund düsterer Prognosen in einem ausgeprägten Arbeitgebermarkt für eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen der Arbeitnehmer kämpfte und die Sinnhaftigkeit in den Fokus der Arbeit rückte, war damals mutig und visionär», erklärt Josef. 

Heute braucht es keinen Homeoffice-, sondern ein Team-Tag

«Die New-Work-Bewegung war revolutionär, weil sie eine Arbeitswelt vorsah, in der der Mensch und seine individuellen Vorstellungen einer sinnhaften Arbeit im Fokus standen – und nicht die Entwicklung des Unternehmenswerts, wie dies in einem zeitgleich vorgestellten Ansatz des amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Alfred Rappaport propagiert wurde», führt die Expertin weiter aus. Heute, im Zeitalter der Individualisierung und des Arbeitskräftemangels, sei es zumindest in entwickelten Volkswirtschaften wie der Schweiz selbstverständlich, dass die Stimmen der Mitarbeitenden Gehör finden würden. Die Tatsache, dass sich die Macht von den Institutionen zum Individuum verlagert hat und damit das «Ich» enorm an Bedeutung gewonnen hat, stelle jedoch viele Organisationen vor Herausforderungen. Etwa salopp formuliert sagt Barbara Josef: «Vor einigen Jahren brauchte es einen Homeoffice-Tag – heute braucht es einen Team-Tag im Büro.» 

Komplexe Probleme erfordern starke Teams

Nicht falsch verstehen: Barbara Josef verteufelt die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte nicht, im Gegenteil: «Die Firmen machen heute sehr viel, um auf die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden einzugehen – und das ist gut so.» Vieles aus der New-Work-Bewegung sei mittlerweile – nicht zuletzt «dank» Pandemie und Arbeitskräftemangel – umgesetzt worden. Die Herausforderung unseres Zeitalters sei daher nicht primär die Stärkung des Individuums, sondern vielmehr das Schaffen eines starken Kollektivs. «Um mit den komplexen Problemen und dem ständigen Wandel Schritt halten zu können, braucht es wieder mehr Ausrichtung auf gemeinsame Ziele und verbündete Kräfte», ist Josef überzeugt.

«Um mit den komplexen Problemen und dem ständigen Wandel Schritt halten zu können, braucht es wieder mehr Ausrichtung auf gemeinsame Ziele und verbündete Kräfte.»
Barbara Josef

Keine Rückkehr, sondern ein Schritt nach vorne

Was aber heisst das nun im konkreten Alltag? Josef ruft Unternehmen dazu auf, ihren Fokus zu verändern. «Die Bewegung hin zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung bei der Gestaltung der Arbeit gilt es mit gezielten Aktivitäten zur Stärkung der Gemeinschaft auszugleichen.» Oder kurz: Es braucht weniger «Ich» und dafür mehr «Wir». Für Josef ist das nicht etwa eine Rückkehr zu alten Werten, sondern ein Schritt nach vorne. «Das Wohlergehen des Individuums ist nach wie vor wichtig – genauso wie jenes der Organisationen und der Gesellschaft.» 

Die Grundvoraussetzung dafür, dass der Wandel gelinge, ist laut Josef die Bereitschaft, das bestehende Verständnis von guter Zusammenarbeit kritisch zu hinterfragen und sich von antiquierten Vorstellungen zu verabschieden. Sie nennt ein konkretes Beispiel: «Sture Präsenzregeln – zum Beispiel drei Tage pro Woche Anwesenheitspflicht im Büro – zeigen, dass man versucht, das Neue nach den alten Spielregeln zu spielen.» Was es stattdessen brauche, sei ein Umdenken in Richtung Führung über Kontext, Stärkung der Eigenverantwortung sowie Betrachtung des individuellen Beitrags zum Gesamterfolg. «Eine Transformation muss immer Mehrwerte für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen erzielen», betont Josef. «Future Work bedeutet somit nichts anderes, als dass sich ein Unternehmen Gedanken macht, wie es sich entlang seiner DNA authentisch transformieren und nachhaltig Mehrwerte für seine Anspruchsgruppen schaffen kann.»

«Die Bewegung hin zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung bei der Gestaltung der Arbeit gilt es mit gezielten Aktivitäten zur Stärkung der Gemeinschaft auszugleichen.»
Barbara Josef

Kleine Aktionen, grosse Wirkung

Die Bereitschaft, sich zu verändern, sowie die strategischen Leitplanken müssen laut Josef von der Unternehmensleitung kommen. «Die konkrete Ausgestaltung und das Erarbeiten von Massnahmen sollte möglichst partizipativ geschehen. Entscheidend ist, dass die Zielkultur erlebbar gemacht wird.» Neues lasse sich nicht mit alten Methoden, also «top down», einführen. «Wenn das Ziel darin besteht, interdisziplinärer auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten, macht es am meisten Sinn, komplexe und neuartige Fragestellungen an Arbeitsgruppen zu übergeben, die sich aus Mitarbeitenden unterschiedlicher Bereiche zusammensetzen», sagt Barbara Josef. Die Unternehmerin und Beraterin ist überzeugt: «Je häufiger die Mitarbeitenden interdisziplinär gemeinsam an einem Projekt arbeiten, desto stärker werde das <Wir>-Gefühl.»

Erstmals veröffentlicht am: 2.10.2024

Autor:in: Daniel Schriber

Infobox

  1. Barbara Josef begleitet Organisationen in Transformationsprozessen. Vor der Gründung ihrer Firma 5-9 AG war sie als Leiterin Kommunikation und gesellschaftliches Engagement in der Geschäftsleitung von Microsoft Schweiz tätig. Barbara Josef hat Wirtschaftswissenschaften studiert und im Bereich Business Innovation promoviert.

  2. Die 5-9 AG wurde im Januar 2016 von Barbara Josef und Simone Büchi gegründet. Die Idee hinter dem Namen: Die besten Projekte und grössten Lernschritte entstehen nicht zu Bürozeiten («9 to 5»), sondern in den Stunden dazwischen. Das Unternehmen mit Sitz in Pfäffikon begleitet Organisationen in Transformationsprozessen Richtung neue Arbeitswelt und unterstützt in der Strategie- und Führungsentwicklung.

Praktische Empfehlungen

Wie kann das Wir-Gefühl im Berufsumfeld gestärkt werden? Unternehmerin und Beraterin Barbara Josef von der 5-9 AG liefert praktische Tipps und Impulse: 

  • Echte Zusammenarbeit: Gehen Sie neuartige, komplexe Fragestellungen in bereichsübergreifenden, temporären Arbeitsgruppen an. Dies stärkt die Vernetzung und das organisationale Lernen.
     
  • Auch digitale Nähe pflegen: Nutzen Sie den digitalen Arbeitsplatz (z.B. Plattformen wie Viva Engage, Beekeeper oder Slack) für niederschwellige Dialogformate sowie das asynchrone Teilen von Ideen, Wissen und Erfahrungen.
     
  • Verankerung in Werten: Fordern und fördern Sie den individuellen Beitrag zu einer starken Gemeinschaft konsequent. Dies setzt bei der Rekrutierung an (gezielte Fragen stellen im Sinne von: «Was erwartest du von uns als Team?», «Was kannst du in die Gemeinschaft einbringen?») und soll sich auch im Beurteilungsprozess, den Anreizsystemen und der Wertschätzung niederschlagen.
     
  • Beziehungspflege: In der operativen Hektik geht das Zwischenmenschliche oft unter. Es ist deshalb wichtig, immer wieder gezielt innezuhalten und Räume für Austausch, Reflexion sowie Stärkung der Beziehung zu schaffen – sei dies auf Ebene Team oder Organisation.
     
  • Eigenverantwortung stärken: Mittels «Führung über Kontext» statt starren. Stellenbeschreibungen und Regeln sollen alle Mitarbeitenden verstehen, was ihr Beitrag zum Gesamterfolg ist und wo Synergien zu anderen Bereichen entstehen.

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