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«Wir sind Gesprächspartner und stellen nicht nur Forderungen»

Schweizweit vertritt der Kaufmännische Verband Schweiz rund 700 000 Arbeitnehmer:innen in knapp 40 regionalen und nationalen Gesamtarbeitsverträgen. Neben dem Aushandeln der GAV kommt dem Verband auch eine überwachende Funktion zu: Durch regelmässige Vorortbesuche und den direkten Austausch mit Arbeitnehmer:innen prüft er den Vollzug der GAV und interveniert bei Verstössen gegen die Vereinbarungen. Manuela Ayala, Assistentin Sozialpartnerschaft beim Kaufmännischen Verband Schweiz, schildert uns den Zweck und Ablauf solcher Filialbesuche im Detailhandel.

Wie dürfen wir uns einen typischen Filialbesuch vorstellen? Wie erklärst du den Mitarbeitenden, wer du bist und was deine Aufgabe ist?

Als Sozialpartner setzt sich der Kaufmännische Verband Schweiz für faire, fortschrittliche und diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen im Rahmen von GAV ein. Als Assistentin Sozialpartnerschaft, repräsentiere ich den Verband und bin unter anderem für die Gesamtarbeitsverträge in der Westschweiz zuständig. Dabei konzentriere ich mich auf die Branche Detailhandel. In dieser Funktion stelle ich mich den Mitarbeitenden vor Ort vor.

Zu meinen Aufgaben gehört es, Informationen zu sammeln, damit die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer:innen, die einem GAV unterstellt sind, geschützt, weiterentwickelt und langfristig verbessert werden können, z.B. bei den Verhandlungen über neue GAVs. Alle erhaltenen Informationen bleiben selbstverständlich anonym und werden streng vertraulich behandelt.

Wie viele Filialen besucht der Kaufmännische Verband Schweiz zirka pro Jahr?

Schweizweit besucht die Abteilung Sozialpartnerschaft rund 500 Filialen/Unternehmen pro Jahr. Allein in der Westschweiz führen wir rund 120 Lidl- und Coop-Filialbesuche durch. Weitere 140 Besuche werden innerhalb des Tankstellenshops-GAV durchgeführt.

Was sind die dortigen Herausforderungen?

Eine Herausforderung im Detailhandel ist es, den Mitarbeitenden zu erklären, was die Bestandteile des GAV und dementsprechend ihre Rechte sind. Ein wichtiger Aspekt unserer Filialbesuche ist das Thema Lohn: vom Mindestlohn bis hin zu möglichen Lohnzuschlägen. Bei Unternehmen mit speziellen Öffnungszeiten (Bsp: Sonntagsöffnungszeiten), stehen Themen wie Überstunden sowie die Kompensation von Arbeit an Sonn- und Feiertagen im Vordergrund.

Wie läuft so ein typischer Filialbesuch ab?

Ich stelle mich persönlich und den Kaufmännischen Verband Schweiz vor. Ich teile den Mitarbeitenden mit, dass wir ihr Sozialpartner in Bezug auf ihren GAV sind. Als solche stellen wir die Einhaltung des GAV sicher und setzen uns für ihre Rechte und Interessen ein. Mit den Besuchen sind wir präsent und informieren die Mitarbeitenden über die Existenz des GAV und die Möglichkeit sich an uns zu wenden. Der Dialog ist ein zentraler Wert des Kaufmännischen Verbands Schweiz und ein wichtiger Bestandteil einer Sozialpartnerschaft. Wir sind ihre Gesprächspartner vor Ort und das teile ich der Person mit, die mich vor Ort empfängt. Die interessierten Mitarbeitenden sowie die Personalvertretungen haben dann Zeit und Möglichkeit sich an mich zu wenden. Ich nehme alle Fragen und Vorschläge entgegen, die zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen können.

«Schweizweit besucht die Abteilung Sozialpartnerschaft rund 500 Filialen/Unternehmen pro Jahr.»
Manuela Ayala, Assistentin Sozialpartnerschaft beim Kaufmännischen Verband Schweiz

Auf was musst du achten, wenn du eine Filiale besuchst?

Ich bin darauf bedacht, die Arbeit und den Geschäftsbetrieb nicht zu stören. Aus diesem Grund finden während der Adventszeit und in der ersten und zweiten Januarwoche keine Besuche statt. Dasselbe gilt für die Woche vor Ostern, in der ebenfalls keine Besuche stattfinden.

Wissen die Mitarbeitenden im Vorfeld, dass du auf Filialbesuch kommst?

Filialbesuche werden im Vorfeld meist angekündigt. Vor Ort teile ich den Mitarbeitenden mit, dass ich im Pausen- oder Sozialraum für Gespräche zur Verfügung stehe. Manchmal finden Gruppengespräche statt, meistens spreche ich individuell mit einzelnen Mitarbeitenden.  

Sind Filialbesuche denn überhaupt noch repräsentativ, wenn Unternehmen im Vorfeld darüber informiert und somit «gewarnt» werden?

Angekündigte Filialbesuche sind sehr wohl repräsentativ, weil sich die Mitarbeitenden im Vorfeld Gedanken machen und ihre Anliegen vorbereiten können. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Mitarbeitenden, die zum Zeitpunkt nicht zur Arbeit eingeteilt sind, trotzdem die Chance haben, sich mit uns auszutauschen.

Warum sind Filialbesuche so wichtig?

Mit unseren Besuchen zeigen wir Präsenz und sind aktiv bei den Menschen. Wir hören zu, nehmen die Anliegen der Mitarbeitenden auf und setzen uns dafür ein, dass ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden. Unsere Präsenz ist wichtig, um die guten Beziehungen zwischen den Arbeitgeber:innen und den Arbeitnehmer:innen zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Was können die Filialbesuche bewirken?

Indem wir den Mitarbeitenden zuhören, erfahren wir,  wo der Schuh drückt.  Sei es in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die unterschiedlichen Erwartungen der Geschäftsleitung und des Personals, das Material oder sogar die zwischenmenschlichen Aspekte. Wenn wir diese Probleme kennen, können wir die Arbeitsbedingungen verbessern und den betreffenden GAV weiterentwickeln.

Wissen die Mitarbeitenden, dass sie einem GAV unterstellt sind?

In der Regel, ja. Die Mitarbeitenden sind mit ihrem Arbeitsvertrag und dem GAV vertraut, dem sie unterstellt sind.

Was sind die wichtigsten Punkte des GAV, welche die Mitarbeitenden kennen?

Die Mitarbeitenden sind gut über ihren Lohn, ihre Arbeitszeit und ihre Ferien informiert. Ich gebe ihnen aber immer zusätzliche Informationen und nutze die Gelegenheit, um andere Themen anzusprechen. Beispielsweise ihr Recht auf bezahlten Weiterbildungsurlaub, der je nach Unternehmen oder Branche bis zu vier Tage pro Jahr betragen kann. Zudem erinnere ich sie an bestehende Regelungen zur besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben .

Wir hören zu, nehmen die Anliegen der Mitarbeitenden auf und setzen uns dafür ein, dass ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden.
Manuela Ayala

Welche Fragen werden dir am häufigsten gestellt?

Die Arbeitsbedingungen werden sehr oft thematisiert. Vor allem aufgrund des Arbeitskräftemangels gestalten sich die Arbeitspläne im Detailhandel oft als sehr straff und sind häufig mit einem gewissen Druck von Seiten der Geschäftsleitung verbunden. Das führt zu langen Arbeitstagen und sehr kurzen Mittagspausen. Stress und Stressbewältigung sind ein immer wiederkehrendes Thema. Der Kaufmännische Verband Schweiz achtet besonders auf die Gesundheit der Mitarbeitenden - Druck und Stress können sich schnell negativ auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken.

Gleichzeitig sind die Ladenöffnungszeiten oder die Vier-Tage-Woche immer wieder ein Thema.

Gibt es ein konkretes Beispiel für eine allgemeine Verbesserung, die aus den Filialbesuchen entstanden ist?

Bei Filialbesuchen erhielten wir den Hinweis, dass die persönliche Schutzkleidung sehr unbequem und unpraktisch war. Wir konnten diese Meldung gebündelt dem Unternehmen mitteilen und erreichen, dass die Verantwortlichen schnell und unbürokratisch eine bessere Lösung für die Mitarbeitenden gefunden haben.

Wieso ist der Detailhandel eine so wichtige Branche für den Kaufmännischen Verband Schweiz?

Der Detailhandel ist mit rund 300 000 Arbeitnehmenden eine der grössten und wichtigsten Branchen der Schweiz. Der Kaufmännische Verband Schweiz hat eine lange Tradition im Detailhandel. So sind aus den ehemaligen Kaufleuten im Laufe der Zeit zwei getrennte Berufszweige entstanden: Büro (KV) und Verkauf (Detailhandelsangestellte), deren Berufsbilder wir beide mittragen. Deshalb ist diese Branche, neben den kaufmännisch- betriebswirtschaftlichen Berufen, auch so wichtig für uns.

Wenn du dir etwas wünschen könntest, was wäre das in Bezug auf den Detailhandel?

In den letzten Jahren konnten wir bei den Löhnen einen Sprung nach vorne machen. Ich würde mir aber wünschen, dass nicht nur die Mindestlöhne im Detailhandel steigen, sondern auch die individuelle Lohnentwicklung stärker berücksichtig wird. Das wäre ein starkes Zeichen der Unternehmensleitungen, um ihre Wertschätzung gegenüber ihren Mitarbeitenden auf der Fläche zu zeigen.  

Erstmals veröffentlicht am: 19.3.2024

«Vor allem aufgrund des Arbeitskräftemangels gestalten sich die Arbeitspläne im Detailhandel oft als sehr straff.»
Manuela Ayala

Autor:in

  • Dominic Karrer

    Junior Communications Manager beim Kaufmännischen Verband Schweiz

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