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Die neue KV-Lehre: «Ein mutiger und wichtiger Wandel»
Die Reform der KV-Lehre hat einen Paradigmenwechsel eingeläutet: Handlungskompetenzen stehen im Zentrum, Betriebe und Schulen müssen enger zusammenarbeiten. Melinda Bangerter, Leiterin Bildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz, spricht über Herausforderungen, Chancen und die Vision einer zukunftsorientierten kaufmännischen Grundbildung.
Die Einführung der neuen KV-Lehre war und ist nach wie vor ein grosser Schritt. Welche Herausforderungen treten dabei für die Lernorte auf?
Die Reform bringt für alle drei Lernorte – Betriebe, Schulen und überbetriebliche Kurse – einen erheblichen Mehraufwand. Grund dafür ist die Systemumstellung auf die sogenannte Handlungskompetenzorientierung. In den Betrieben ist vor allem die Einführung der Praxisaufträge eine grosse Veränderung, die einen beachtlichen Initialaufwand bedeutet. Diese Umstellung erfordert Zeit, aber sie bringt auch Flexibilität, da die Praxisaufträge den Lehrbetrieben mehr Gestaltungsspielraum bieten. Gleichzeitig müssen sich Lernende und Betrieb an digitale Tools gewöhnen. Insbesondere zu Beginn der Reform hat der Wissensstand je nach Thema und Branche stark variiert. Mittlerweile sind die meisten Betriebe gut unterwegs.
Dennoch treten immer wieder praktische Fragen auf. Zum Beispiel: Wer finanziert den Arbeitslaptop der Lernenden für die Berufsfachschule, damit das «Bring Your Own Device»-Konzept (BYOD) umgesetzt werden kann? Oder: Wie setzen Betriebe und Schulen die Optionenwahl im dritten Lehrjahr um? Auch die Schulen sind mit grossen Herausforderungen konfrontiert, da sie nun Handlungskompetenzen fördern sollen. Lehrpersonen sind nicht mehr reine Wissensvermittler, sondern nehmen eine Coaching-Rolle ein. Ausserdem standen die Lehrmittel erst spät zur Verfügung, was verständlicherweise Kritik ausgelöst hat. Es ist klar, dass die Implementierung solch grundlegender Veränderungen an allen Lernorten Zeit braucht. Im Gegenzug eröffnet der Wandel neue Möglichkeiten.
«Handlungskompetenzen fördern heisst nicht nur Wissen vermitteln – Lehrpersonen sind jetzt auch Coaches.»Melinda Bangerter, Leiterin Bildung Kaufmännischer Verband Schweiz
Nach der Reform liegt der Fokus auf Handlungskompetenzen. Wie erlebst du die Umsetzung in der Praxis? Wo siehst du Entwicklungspotenzial?
Es ist noch zu früh, um bezüglich Entwicklungspotenzial endgültige Aussagen zu treffen. Geduld ist gefragt, und alle Lernorte müssen sich an die neue Bildungsverordnung und deren Umsetzung herantasten. Kleinere Korrekturen und Optimierungen werden laufend vorgenommen. Dabei erlebe ich eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren.
Eine Herausforderung am Lernort Schule ist, dass viele Lehrpersonen einen akademischen Hintergrund mitbringen und die betrieblichen Abläufe nicht aus erster Hand kennen. Das bringt aber auch Chancen mit sich, weil sie neue Perspektiven einbringen. Gemäss Rückmeldungen der Schulen ist eine enge Zusammenarbeit im Kollegium entscheidend für die Umsetzung, denn die Handlungskompetenzbereiche lassen sich nicht immer klar voneinander abgrenzen. Themen wie Stundenplanung und die Abstimmung zwischen den Bereichen sind Herausforderungen, fördern aber gleichzeitig den Austausch und das gemeinsame Lernen.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Schulen, um die Lernenden optimal auf die digitale Transformation vorzubereiten? Welche Feedbacks bekommst du dazu?
Die Zusammenarbeit wird sehr unterschiedlich gehandhabt. Einige Schulen haben Austauschformate mit Betrieben geschaffen, was ich sehr positiv finde. Ein zentrales neues Element ist das persönliche Portfolio, das von den Lernenden geführt wird. Es dokumentiert Entwicklungsschritte und Kompetenzen und wird an allen drei Lernorten genutzt. Die grösste Branche, Dienstleistung und Administration (D&A), arbeitet beispielsweise auf der Plattform Konvink, andere setzen unterschiedliche Plattformen ein.
«Die Reform ist mutig. Es war ein grosser Schritt, diesen Paradigmenwechsel zu wagen.»Melinda Bangerter, Leiterin Bildung Kaufmännischer Verband Schweiz
Welche nächsten Schritte stehen im Rahmen der Reform an?
Der nächste grosse Meilenstein ist das Qualifikationsverfahren (QV), das mit der neuen Lehre erstmals digital durchgeführt wird. Im Jahr 2025 wird dies beim eidgenössischen Berufsattest EBA mit etwa 400-450 Lernenden das erste Mal der Fall sein. 2026 folgt das eidgenössische Fähigkeitszeugnis EFZ mit über 12’000 Lernenden. Es ist eine Herausforderung, mit digitalen Tools Handlungskompetenzen zu prüfen, anstatt einzelne Fächer abzufragen. Das erfordert smart formulierte Fragen und neue Ansätze – Multiple-Choice allein reicht nicht aus. Für den Erfolg der Reform ist ein handlungskompetenzorientiertes QV zentral.
Wie siehst du die Zukunft der kaufmännischen Grundbildung in der Schweiz? Welche Trends werden wichtig?
Kaufmännische Berufe werden nicht verschwinden, sondern sich weiterentwickeln. Sie erfordern in Zukunft verstärkt koordinierende, analytische und vermittelnde Kompetenzen. Technologien wie KI werden unsere Arbeitswelt verändern, aber die Berufe interessanter machen, da repetitive Aufgaben wegfallen. Gleichzeitig wird der Umgang mit Technologien anspruchsvoller.
Trends wie Nachhaltigkeit, Kommunikationsfähigkeiten und Agilität spielen eine zentrale Rolle. Auch lebenslanges Lernen wird immer wichtiger – nicht nur, um sich fachlich weiterzuentwickeln, sondern auch, um flexibel auf neue Arbeitsbedingungen zu reagieren.
«Kaufmännische Berufe werden nicht verschwinden, sondern sich weiterentwickeln.»Melinda Bangerter, Leiterin Bildung Kaufmännischer Verband Schweiz
Wie unterstützt der kfmv die Betriebe und Schulen bei der Umsetzung der Reform?
Wir bieten eine umfangreiche Unterstützung in Form von Infomaterialien wie Ratgebern und Merkblättern. Auch gibt es Schulungen und Austauschgefässe der Fachgruppe wbp, die Berufs- und Praxisbildner:innen von KV-Lernenden gezielte, praxisnahe Unterstützung für den Berufsalltag bietet. Anfragen von Lernenden, Eltern oder Lehrbetrieben beantworten wir direkt oder leiten sie an die zuständigen Stellen weiter. Es ist uns ein Anliegen, dass alle Beteiligten gut informiert sind und Unterstützung erhalten, wo sie sie brauchen.
Wenn du die Reform in einem Wort zusammenfassen müsstest – welches wäre das?
Mutig. Es war ein mutiger Schritt, diesen Paradigmenwechsel in Angriff zu nehmen. Trotz viel Kritik im Vorfeld ist diese Weiterentwicklung zentral für das kaufmännische Berufsbild, und das verdient Anerkennung.
Was hat dich im Prozess persönlich am meisten begeistert?
Mich freut besonders die Solidarität zwischen den drei Lernorten. Alle ziehen am gleichen Strang, und die Zusammenarbeit läuft meines Erachtens sehr gut. Ich bin zuversichtlich, dass eine erfolgreiche Umsetzung der Reform gelingen wird.
Was wünschst du den den vier Lernenden Nari, Chloe, David und Dylan aus unserer Kampagne «mini Lehrzyt» für die Zukunft?
Ich wünsche ihnen und allen anderen KV-Lernenden, dass sie auf ihren Kompetenzen aufbauen, von ihren Erfahrungen profitieren und Freude an ihrer Ausbildung behalten. Sie sollen die Möglichkeit haben, das Gelernte in der Praxis zu üben und weiterzuentwickeln – mit Spass und Motivation.
Veröffentlicht am: 23.1.2025
Autor:in: Sibylle Zumstein
Über Melinda Bangerter
Melinda Bangerter ist seit Juni 2023 Leiterin der Abteilung Bildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz (kfmv). Zuvor war sie als Fachverantwortliche Berufsbildung beim kfmv tätig, Sie verfügt über einen Bachelor of Science in Business Administration der Hochschule Luzern und einen Master of Arts in Environment, Politics and Globalisation vom King’s College in London.
FAQ neue KV-Lehre
Kampagne «mini Lehrzyt»
Der Kaufmännische Verband Schweiz begleitet die vier Lernenden Chloe, David, Dylan und Nari während ihrer Lehrzeit. Sie berichten zweimal jährlich über ihren Lehralltag und die Erfahrungen in der Schule und im Betrieb. Dabei erfahren wir, was sie sich von ihrer Lehrzeit erhoffen, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert werden und wie sie sich auf den Berufsalltag vorbereiten.
Die Lernenden haben ihre Lehre im August 2023 angefangen und arbeiten nach dem System der neuen KV-Reform. Neben dem Fokus auf Handlungskompetenzen eignen sie sich Fachwissen und Fähigkeiten an, die sie auch branchen- und berufsübergreifend einsetzen können. Damit ihnen nach der Lehrzeit alle Möglichkeiten offenstehen.
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Kaufmännischer Verband Schweiz