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Männer steigen auf, Frauen aus

    Frauen machen Karriere – das ist im 21. Jahrhundert alles andere als aussergewöhnlich. Ins Top-Management schaffen sie es jedoch nach wie vor nur selten.

    Haben Sie Ihrem Chef schon einmal gesagt, wie sehr die Farbe seines Hemds seinem Teint schmeichelt? Oder haben Sie ihn für seinen neuen Haarschnitt gelobt? Wohl kaum. Männern wird zur Beförderung gratuliert. Oder zum geschickt abgeschlossenen Mega-Deal. Und nicht zur Wahl der Krawatte. Bei Frauen sieht das hingegen ganz anders aus – selbst Bundesrätinnen werden gern aufs Äussere reduziert. Nach der Bundesratswahl letzten Dezember liessen sich selbst ernannte Stilexperten in der Sendung «Glanz & Gloria» über die neu gewählten Bundesrätinnen aus: Viola Amherd wurde dabei als mütterlich und rund, weich, warm beschrieben, während Karin Keller-Sutters Kleidung zu streng sei und mehr Spass vertragen könnte. In einem Sendeformat des staatlichen Schweizer Fernsehens, wohlgemerkt.

    Trotz Jahrzehnten der Gleichstellungs-Bemühungen liegt hierzulande nach wie vor vieles im Argen. «Noch heute erhalten Mädchen gutes Feedback, wenn sie bescheiden und zurückhaltend sind und anderen den Vortritt lassen», weiss Sibyl Schädeli. Als Coach und Inhaberin des Beratungsunternehmens Kaukab in Basel beschäftigt sie sich seit Jahren mit Themen wie Machtspielen in hierarchischen Organisationen sowie Frauenkarrieren und gibt dazu Kurse. Was bei Kindern gilt, ist bei der Arbeit später Usus. «Mit diesen erworbenen Strategien kommen Frauen in der Berufswelt leider nicht sehr weit», so Schädeli.

    Gut ausgebildete Frauen

    Das zeigen auch die Zahlen des jährlich publizierten Schilling-Reports, der Geschäftsleitungen sowie die Verwaltungsräte der 100 grössten Schweizer Unternehmen vergleicht. 2019 knackte der Frauenanteil in Verwaltungsräten zum ersten Mal die mickrige 20-Prozent-Marke. Doch in nur gerade der Hälfte der Schweizer Unternehmen sitzen Frauen in der Geschäftsleitung.

    Wer nun glaubt, dass man Frauen kaum auf der Führungsebene antrifft, weil sie schlechter ausgebildet seien, befindet sich auf dem Holzweg: «Es gibt mittlerweile mehr Hochschulabsolventinnen als -absolventen», sagt Ursula Häfliger, Verantwortliche Politik beim Kaufmännischen Verband Schweiz. Doch gerade deshalb unterliegen junge Frauen oft dem Trugschluss, dass sie bereits in einer gleichberechtigten Umgebung arbeiten. «Sie sind aus der Schul- oder Studienzeit nicht selten gewöhnt, erfolgreicher als ihre Kollegen zu sein», weiss Sibyl Schädeli. «Leider holt die Realität sie meist schnell ein.»

    Fehlende weibliche Vorbilder

    Und diese ist oft voller Machtspiele, deren ungeschriebenen Regeln, Codes und Symbolik Frauen kaum kennen. So gelingt es Männern körperlich, aber auch in Form von Redezeit, mehr Raum einzunehmen. «Viele Frauen wissen währenddessen nicht einmal um die Bedeutung von Sitzordnung und Redezeit in einem wichtigen Gremium.» Andere Machtspiele finden vor allem im informellen Raum statt – Gespräche vor und nach der Sitzung, beim Feierabendbier oder nur mal kurz zwischendurch am Telefon finden ohne Frauen statt.

    Ein weiterer Stolperstein auf dem Weg nach oben sind Stereotype und unbewusste Vorurteile: «In den meisten Köpfen, auch in denen der Frauen, sind Führungskräfte immer noch männlich, mittelalt und weiss», sagt Schädeli. Es fehle an weiblichen Vorbildern: «So lange das Bild der Führungsfrau in der Geschäftsleitung nicht ebenso geläufig ist wie das des typischen Managers, sind Karrierewege von Frauen steinig.» Frauen, die sich auf dem Weg nach oben behaupten, können sich die Karriere spätestens mit dem ersten Kind ans Bein streichen. Denn wie es scheint, können Frauen mit Kindern keine Karriere machen, Männer hingegen schon. «Frauen in Führungspositionen, die Kinder haben, werden gerne bezichtigt, Rabenmütter zu sein. Das hört man bei ihren männlichen Kollegen nie», sagt Ursula Häfliger. Es gilt als Paar deshalb schon vor der Familiengründung, die Spielregeln festzulegen und die gegenseitigen Erwartungen zu klären. «Frauen müssen Forderungen stellen, auch in der Partnerschaft», rät Häfliger.

    «Noch heute erhalten Mädchen gutes Feedback, wenn sie bescheiden und zurückhaltend sind und anderen den Vortritt lassen»
    Sibyl Schädeli

    Teilzeitarbeit erzeugt Lohngefälle

    Forderungen gilt es aber auch beim Arbeitgeber zu stellen, vor allem punkto Lohn: Auf der Lohnabrechnung der Frauen finden sich im Durchschnitt jeden Monat noch immer knapp 20 Prozent weniger Lohn als bei den Männern. Selbst gutverdienende Frauen sind von Lohnungleichheit und Lohndiskriminierung betroffen. Lucas Tschan, Student an der Universität Luzern, hat mit seiner kürzlich publizierten Masterarbeit «Children and Gender Inequality Evidence from Switzerland» aufgezeigt, dass sich bis kurz vor der Elternschaft die Löhne der Frauen und Männer heute fast nicht mehr unterscheiden. Kommt das erste Kind, liegt das Einkommen der neuen Mütter um 20 Prozent tiefer als jenes der Väter, im Jahr darauf sind es bereits 39 Prozent, weitere zwölf Monate später sogar 40 Prozent.

    Für seine Studie hat Tschan Frauen und Männer in vergleichbaren Situationen beurteilt – die Daten stammen aus dem Schweizer Haushalt-Panel, einer vom Nationalfonds mitfinanzierten, seit 1999 jährlich durchgeführten Befragung. Ihr zufolge sind 53 Prozent der Neumütter mit Partner und Kind in der Schweiz höchstens halbtags oder gar nicht erwerbstätig. Bei den Vätern sind es nur knapp sechs Prozent. «Interessant ist, dass Frauen selbst zehn Jahre nach der Geburt des ersten Kindes ihr Pensum nicht erhöhen und im Durchschnitt nur knapp 40‘000 Franken pro Jahr verdienen, während Männer inzwischen bei über 100‘000 Franken Netto-Jahreslohn angelangt sind», so Tschan. Der überwiegende Teil der Lohnunterschiede lässt sich zwar durch die verbreitete Teilzeitarbeit von Frauen erklären, doch auch Mütter, die Vollzeit arbeiten, verdienen über die Jahre weniger als Männer mit ähnlicher Ausgangslage.

    Mutterschaftsstrafe punkto Lohn

    Die Studie von Lucas Tschan belegt, was aus Alltagserfahrungen längst bekannt ist. «Frauen scheinen nach der Geburt des ersten Kindes eher auf eine lohnsteigernde Karriere zu verzichten, während Männer beruflich Vollgas geben.» So verdoppelt sich bei Frauen die Anzahl Stunden unbezahlter Arbeit im Haushalt nach der Geburt des ersten Kindes. Dies bestätigt Ursula Häfliger: «Frauen übernehmen oft die Rolle der Familien-Managerin. Es erfordert enorm viel Zeit und mentale Kapazität, sich um alle Termine und Verpflichtungen zu kümmern.» Frauen kommen also deutlich mehr unbezahlter Arbeit nach, oft auf Kosten des Erwerbslebens. Männer steuern dafür mehr Einkommen bei. «In der Schweiz ist das traditionelle Bild der Kernfamilie stark verankert», so Tschan. Es sei gesellschaftlich akzeptiert, dass eine Frau für die Familie ihr Arbeitspensum verringere.

    Die Teilzeitarbeit öffnet aber nicht nur die Lohnschere der Neumütter, sondern verbaut auch deren Karriereweg. «Teilzeitarbeit ist in vielen Firmen mit Vorurteilen behaftet», weiss Ursula Häfliger. Teilzeitangestellte verdienen weniger und werden oft auch schlechter bewertet. «Wenn mehr Männer ihr Pensum reduzieren würden, dann würde sich auch der Status von Teilzeitarbeit verbessern», ist die Fachfrau überzeugt. Für Frauen auf dem Weg nach oben gilt es deshalb nicht nur zahlreiche berufliche Barrieren zu überwinden, sondern auch gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen.

    Kurs:

    Sibyl Schädeli bietet öffentliche Workshops zum Thema Machtspiele und Karriere in verschiedenen Schweizer Städten an.

    Wenn mehr Männer ihr Pensum reduzieren würden, dann würde sich auch der Status von Teilzeitarbeit verbessern
    Sibyl Schädeli

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