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Die Unternehmerin, die Bier braut

Claudia Keel-Graf übernahm bereits mit 27 Jahren die Brauerei Sonnenbräu im Rheintal. Die junge Frau weiss sich in der Männerdomäne zu behaupten.

Eine Bierbrauerei leiten? Das konnte sich Claudia Keel-Graf einst kaum vorstellen. Obwohl sie mit dem Betrieb ihres Vaters, der Brauerei Sonnenbräu im sanktgallischen Rebstein, stets eng verbunden war: Während der Schulferien half sie häufig in der Produktion aus. «Ich montierte Bügel an Flaschen, arbeitete in der Abfüllerei und manchmal auch im Labor», erinnert sich die 36-Jährige. «Den ersten Schluck Bier gab es bei der Konfirmation.»

Als Mädchen wollte Keel-Graf Kindergärtnerin werden. Doch nach der Sekundarschule entschied sie sich zuerst einmal für eine KV-Lehre bei einer Bank. Langfristig wäre dieser Job jedoch nichts für sie gewesen, sagt sie: «Für das Bankenwesen bin ich zu wenig exakt.» Nach der KV-Ausbildung besserte sie während eines Jahres ihre Sprachkenntnisse in England und Fribourg auf und erwarb danach die Berufsmaturität.

Eigentlich habe sie vorgehabt, Betriebswirtschaft zu studieren, erzählt Keel-Graf. Doch ein Lehrer an der Berufsmaturitätsschule motivierte sie dazu, in den Familienbetrieb einzusteigen. Ihr Vater hingegen habe nie Druck auf seine Kinder ausgeübt und wohl auch nicht damit gerechnet, dass er eine Nachfolge innerhalb der Familie finden würde. Die 1891 gegründete Brauerei war über all die Jahre stets von Vater zu Sohn weitergegeben worden, zuletzt 1978 an Arnold Graf. Als die jüngste seiner drei Töchter dann aus eigenem Antrieb bekannt gab, sie wolle den Betrieb weiterführen, war er hoch erfreut.

Braumeisterin in München gelernt

Viel Zeit blieb der damals 21-Jährigen nicht, um sich auf diese anspruchsvolle Aufgabe vorzubereiten. Der Patron war damals bereits 60 Jahre alt und hatte vor, in fünf Jahren zurückzutreten. Die heutige Chefin wollte das Handwerk aber von der Pike auf erlernen. Sie liess sich deshalb in München zur Braumeisterin ausbilden. Damit war sie damals die erste Frau aus der Schweiz und ist es, soweit ihr bekannt ist, auch bis heute geblieben. Wichtige Inhalte in diesem Jahr waren Themen wie Qualitätssicherung und Technik. In der zunehmend automatisierten Brau-Industrie sei technisches Verständnis unverzichtbar, erklärt Keel-Graf. Gerade als Frau fand sie es speziell wichtig, überall mitreden zu können und sich auch in der Produktion auszukennen. Nach bestandener Prüfung blieb sie für ein weiteres Jahr in München und absolvierte einen betriebswirtschaftlichen Lehrgang, der speziell auf die Getränkebranche ausgerichtet ist.

Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz begann sie 2009 im Management der Brauerei Sonnenbräu. Während der ersten drei Jahre arbeitete sie sich allmählich in die Aufgaben ein. Das Know-how aus der KV-Lehre habe ihr dabei natürlich geholfen, sagt sie. Doch zusätzlich lernte sie vieles direkt von ihrem Vater. 2012 zog sich dieser aus dem Betrieb zurück und übergab die Leitung der rund 50 Mitarbeitenden ganz an seine Tochter, die damals gerade mal 27 Jahre alt war. Zwar war der Vater in den ersten Jahren noch präsent und betreute einige Projekte weiter. Gelegentlich stand er der jungen Chefin auch beratend zur Seite. Doch eingemischt habe er sich nie, blickt Keel zurück. Er habe sie voll und ganz machen lassen.

Medieninteresse geschickt genutzt

Als junge Frau mit langen blonden Haaren und durchaus weiblichem Kleidungsstil passt Claudia Keel-Graf so gar nicht ins Bild des typischen Bierbrauers. Es sei eine sehr männlich dominierte Branche, lacht sie. Während ihr Vater als Patron eine natürliche Autorität ausstrahlte, habe sie sich zu Beginn den Respekt etwas verdienen müssen. Im Schweizer Brauerei-Verband sind sie und eine Kollegin aus Basel die einzigen Frauen. Doch sie hat gelernt, damit umzugehen. «Als Exotin profitiert man auch häufig», stellt sie fest. Ihre grosse Medienpräsenz komme dem Geschäft gelegen. Denn aufgrund ihrer ungewöhnlichen Rolle haben schon zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften über sie und die Firma berichtet. «Eine Frau stürmt die Männerbastion des Bierbrauens», titelte 2016 zum Beispiel die Berner Zeitung, während 20 Minuten Friday 2018 unter dem Titel «Bier in Frauenhand» ein Interview publizierte.

Auch am Fernsehen ist Claudia Keel-Graf regelmässig zu sehen. So war sie 2013 Gesprächsgast in der Sendung von Kurt Aeschbacher, und 2016 sieht man sie in einer Dokumentation der Sendung Eco strammen Schrittes zwischen den bis an die Decke gestapelten Bierharassen hindurchschreiten sowie eine Mitarbeiter-Sitzung leiten. Auch in den Sendungen «Talk am Grill» sowie letztes Jahr im Dok-Film «Die Chefinnen» erhielt sie prominente Auftritte.

Frauen fürs Bier begeistern

Weniger erfreut ist Keel-Graf hingegen über gewisse geschlechtsbezogene Aussagen, die in diesem Zusammenhang zuweilen fallen – etwa wenn sich ein Verbandskollege gegenüber dem Fernsehen zuerst einmal zu ihrer Attraktivität äussert. Geschätzt wird sie in der Branche aber vor allem auch, weil man sie als Botschafterin sieht, um Bier in der weiblichen Welt populärer zu machen. «Bier gilt immer noch vielerorts als Männergetränk», sagt Keel-Graf. «Viele Frauen denken dabei an einen Bierbauch.» Um mehr Frauen zu erreichen, hat die Geschäftsführerin als eine ihrer ersten Amtshandlungen das mit Süsswein vermischte Bier namens Diva eingeführt. Dieses wurde unterdessen durch eine neue Kreation ersetzt: Unter den 24 Sorten von Sonnenbräu findet sich heute das Getränk Bella mit Himbeerkonzentrat.

Kunden schätzen persönlichen Kontakt

Einen Grossteil ihrer täglich rund zehn Arbeitsstunden verbringt Claudia Keel-Graf in ihrem Büro, wo Firmengründer Eduard Graf von einem Portrait mit einer gewissen Strenge auf die Geschäftsleitung in fünfter Generation herabschaut. Der Verkauf habe absolute Priorität, sagt Keel-Graf. Neben den Aussendienst-Mitarbeitern ist sie deshalb bei Vertragsverhandlungen mit dem Detailhandel und der Gastronomie meist ebenfalls involviert. «Der persönliche Kontakt wird sehr geschätzt», führt sie aus. Die Brauerei Sonnenbräu verkauft ihre rund drei Millionen Liter pro Jahr hauptsächlich in der Region Sargans-Bodensee-Toggenburg und setzt mit Erfolg stark auf die lokale Verankerung.

Ein wichtiges Mittel für die Kundenbindung ist auch der Sonnenbräu-Fanclub, der rund zur Hälfte aus Frauen besteht. In Jahren ohne Pandemie findet in Rebstein jeweils im Juni die Hauptversammlung mit über 4000 Mitgliedern statt. Der Anlass erinnert an ein Oktoberfest: Die Brauerei-Chefin hält die Begrüssungsrede gern im Dirndl. Und auch an den langen Tischen heben viele ihre Humpen in der traditionell bayerischen Kluft: Männer in Lederhosen und Frauen in weit ausgeschnittenen Trachten. Nächstes Jahr soll ein noch deutlich grösser Anlass durchgeführt werden: Zum 130-Jahr-Jubiläum, das wegen Corona diesen Sommer nicht stattfinden konnte, werden mehr als 10'000 Personen erwartet.

Familie hilft bei Kinderbetreuung

Natürlich trinkt die Braumeisterin auch selber sehr gern und regelmässig Bier. Doch in den letzten Monaten musste sie sich wohl oder übel an die alkoholfreie Variante halten: Claudia Keel-Graf war mit ihrem ersten Kind schwanger, das im Oktober zur Welt kam. Sie habe noch nicht einmal die neue Kreation Hopfen Hell richtig probieren können, bedauert die Bier-Liebhaberin. Alkoholfreie Biere seien zwar zunehmend gefragt und eine willkommene Alternative, findet sie. «Doch da Alkohol ein wichtiger Geschmacksträger ist, kann ein Alkoholfreies einem typischen Lager oder Spezialitätenbier nicht so ganz das Wasser reichen.»

Nach der Geburt und dem Mutterschaftsurlaub möchte Keel ihr Pensum auf rund 80 Prozent reduzieren. In den Wochen vor der Geburt hatte sie bereits diverse Aufgaben delegiert. Um die Mitarbeitenden schon mal ein wenig daran zu gewöhnen, dass sie nicht jederzeit zur Stelle ist, arbeitete sie bereits während der Schwangerschaft häufig zuhause. Ihr Daheim liegt jedoch nur 50 Meter von der Firma entfernt. Und auch ihre Eltern, bei denen sie vor der Pandemie regelmässig zu Mittag ass, wohnen sehr nahe bei der Brauerei. Neben Claudia Keel-Grafs Ehemann werden auch ihre Eltern und Schwiegereltern bei der Kinderbetreuung mithelfen. «Wir sind ein Familienbetrieb, zu dem auch die Mitarbeitenden gehören», betont die Chefin. «Uns alle verbindet das Herzblut zum Bier. Es gibt keine schönere Aufgabe, als das Rheintaler Getränk aus auserlesenen Rohstoffen zu brauen.»

Erstmals veröffentlicht: 17.01.2022

«Wir sind ein Familienbetrieb, zu dem auch die Mitarbeitenden gehören, uns alle verbindet das Herzblut zum Bier. Es gibt keine schönere Aufgabe, als das Rheintaler Getränk aus auserlesenen Rohstoffen zu brauen.»
Claudia Keel-Graf, Geschäftsleiterin Brauerei Sonnenbräu

Autor

  • Andrea Söldi

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